© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/15 / 09. Oktober 2015

„Ich muß ins Getümmel“
Sein Nachrichtenmagazin „Die Weltwoche“ hat er zum Oppositionsblatt gegen den Zeitgeist gemacht / Nun will Roger Köppel für die SVP in die Politik
Moritz Schwarz

Herr Köppel, wie paßt Ihr Vorhaben, in die Politik zu gehen, zum Anspruch Ihres Nachrichtenmagazins, unabhängig und überparteilich zu sein?

Köppel: Das ist kein Widerspruch. Die Weltwoche ist ein Blatt mit klarer Ausrichtung, aber auch mit größter Offenheit. Die Schweiz hat ein Milizsystem, kein Berufsparlament. Ich folge meinen freiheitlichen Überzeugungen und die will ich aktiv in Bern einbringen. Ich kämpfe für eine unabhängige und weltoffene Schweiz, die mit der EU sehr gut zusammenarbeitet – aber eben nicht beitritt. 

Aber als Journalist sind Sie Teil der „vierten Gewalt“, die die Politik kontrollieren soll.

Köppel: Immer wieder sind namhafte Schweizer Chefredakteure in die Politik gegangen. 

In Deutschland hätte so etwas ein „Geschmäckle“. 

Köppel: Die Schweiz hat mit ihrer direkten Demokratie eben auch hier einen leichten Vorteil gegenüber Deutschland.  

Sie sehen Ihre Unabhängigkeit nicht beeinträchtigt?

Köppel: Ganz und gar nicht. Dem Journalisten Köppel kann die Partei oder die Fraktion keinerlei Weisungen erteilen.

Solche Abhängigkeiten vollziehen sich informell: Da wird dann an die Loyalität oder „Verantwortung“ appelliert oder unterschwellig mit Nachteilen gedroht.

Köppel: Es ist natürlich ein Charaktertest. Sollte mich eine allfällige Wahl tatsächlich korrumpieren, muß ich allen empfehlen, die Weltwoche nicht mehr zu lesen.

Geben Sie Ihren Kritikern nun nicht recht, die der „Weltwoche“ vorwerfen, nur Organ der Schützenhilfe für die SVP zu sein?

Köppel: Sie müssen als Mensch machen, was richtig ist, und nicht immer auf die Reaktionen und aufs Image schauen. Natürlich unterstützt die Weltwoche vernünftige Positionen, egal, von welcher Seite sie kommen. Die SVP steht zur Schweiz, sie setzt sich für eine liberale Wirtschaft, für die direkte Demokratie und gegen den EU-Beitritt ein. Die SVP hat als erste Partei auch Themen wie Asylmißbrauch und Masseneinwanderung besetzt. Hier stimme ich in der Sache zu. Die Weltwoche hat aber immer auch Skandale in der SVP aufgedeckt und andere Meinungen zu Wort kommen lassen. Das wird so bleiben. Ich beobachte gewisse Entwicklungen in der Schweizer Politik mit Sorge, vor allem, was die EU-Strategie des Bundesrates angeht. Es reicht nicht, nur darüber zu schreiben. Ich muß selber ins Getümmel. 

In Deutschland gilt die SVP als rechtspopulistisch. 

Köppel: Das ist eine Fehleinschätzung. Die SVP ist eine liberalkonservative Partei auf der Grundlage unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats von 1848. Sie steht für bürgerlich-liberale Grundwerte. Und sie steht für freie Rede und Gegenrede. Das scheint manchen deutschen Journalisten zu überfordern.

Gern wird sie bei uns auch „Blocher-Partei“ genannt, als sei sie sein Privatbesitz.

Köppel: Das ist sie nicht, aber natürlich hat Christoph Blocher die Partei stark geprägt. Er ist so etwas wie eine protestantische Variante von Franz Josef Strauß, allerdings ohne die wohl spezifisch bayerischen Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft. Blocher ist ein brillanter Unternehmer, ein hochintelligenter, belesener Mann aus bildungsbürgerlichem Haus, allerdings ohne Dünkel, eine Schweizer Jahrhundertfigur. Martin Walser bezeichnete ihn einmal als „Monument der Richtigkeit“. Ohne Blocher wäre die Schweiz heute in der EU. 

Wie ist zu erklären, daß eine Partei „bürgerlich-liberaler Grundwerte“, wie Sie sagen, als rechtspopulistisch klassifiziert wird?

Köppel: Die SVP hat in den letzten zwanzig Jahren fast alle Wahlen gewonnen. Sie hat den linken Zeitgeist nicht mitgemacht. Sie hat es gewagt, die Mächtigen und das Establishment zu kritisieren, vor allem in der EU-Frage. Da können sie nicht allzu viel Gegenliebe erwarten. Wer keine Argumente hat, muß es halt mit Beschimpfungen versuchen. Am Ende zählt die Sache, und da hat die SVP recht bekommen. Die EU ist eine Fehlkonstruktion.  

Wenn Sie erfolgreich sind, werden Sie Nationalrat, also Parlamentsabgeordneter. Das bedeutet aber noch lange nicht, Macht auszuüben. Was erhoffen Sie sich in der Politik überhaupt bewirken zu können?  

Köppel: Das frage ich mich nicht. Ich bin für die Schweiz. Ich bin davon überzeugt, daß wir unsere direkte Demokratie und unsere unabhängige Staatsform pflegen müssen. Vielleicht kann ich auch einen Beitrag leisten, die Schweiz im Ausland besser zu verkaufen. Wir wollen mit der EU hervorragend zusammenarbeiten, aber wir wollen die EU nicht heiraten.   

Fürchten Sie nicht etwa das Beispiel von „Spiegel“-Chefredakteur Rudolf Augstein, der 1972/73 mit seinem Ausflug für die FDP in den Bundestag scheiterte? 

Köppel: Bei Rudolf Augstein, den ich als brillante Figur bewundere, stimmte das Motiv nicht. Er hatte eine Midlife-Crisis. Der Journalismus war ihm langweilig geworden. Er hielt es ja auch nicht lange aus in Bonn. Ich will mich gegen Mißstände in der Politik einsetzen.

Warum gibt es diese Mißstände überhaupt? Regelt das nicht die direkte Demokratie?

Köppel: Ich werde in einer deutschen Zeitung nicht mein Heimatland kritisieren. Sagen wir es so: Die direkte Demokratie bringt Freiheit und Macht für die Bürger. Für die Politiker und Staatsangestellten ist sie unbequem, ein Gefängnis. Da sind unsere Eliten nicht völlig anders als die Eliten in der EU. Man will mehr Macht auf Kosten der Bürger. Diese staatsgläubige, zentralistische und damit linke Agenda ist leider auch in Bern übervertreten, wenn auch entschieden weniger stark als in Brüssel.   

Sie haben geschrieben, die Schweizer Regierung sei „auslandshörig und imagesüchtig“.

Köppel: Zu viele Schweizer Politiker sind meines Erachtens bereit, den Wünschen und Forderungen aus Brüssel nachzugeben. Meine Meinung ist, daß die Schweiz der EU am besten dient, wenn sie unabhängig bleibt. Der Schweiz geht es wirtschaftlich so gut, weil sie nicht in der EU ist. Dabei halten wir uns strenger an die EU-Verträge als die EU-Mitgliedstaaten. Die Schweiz ist heute vermutlich eines der letzten Länder in Europa, das der EU gegenüber die Rechnungen pünktlich zahlt – ohne daß man ihr vorher einen Milliardenkredit überweisen muß. 

Zu den von Ihnen kritisierten Fällen gehört auch der Konflikt um die erfolgreiche SVP-Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ von 2014. 

Köppel: Hier kritisiere ich vor allem die politischen Reaktionen aus der EU, insbesondere aus Deutschland. Die Schweiz hat im Durchschnitt der letzten Jahre eine rund dreimal höhere Pro-Kopf-Einwanderung als Deutschland. Die Personenfreizügigkeit hat zu einer maßlosen Zuwanderung geführt, die von einer Mehrheit der Stimmbürger und der Kantone nicht mehr akzeptiert wird. Die Schweiz will zum Maßhalten und zur Selbstbestimmung in der Migration zurück. Das hat nichts mit Fremdenfeindlichkeit und Abschottung zu tun. Wir haben hinter dem Stadtstaat Luxemburg den höchsten Ausländeranteil in Europa. Wir wollen mit der EU zusammenarbeiten, aber wir wollen die Zuwanderung wieder selber steuern. 

Sie schreiben, die Schweiz sei „weltoffen bis zum Untergang“.

Köppel: Ich bin für Weltoffenheit und für Zuwanderung, aber ich bin für eine maßvolle, selber gesteuerte Zuwanderung, die den Bedürfnissen unserer Wirtschaft und unserer Bevölkerung Rechnung trägt. Ganz falsch finde ich aktuell in ganz Europa die Asylpolitik, die faktisch auf eine Aushöhlung unseres Asylrechts hinausläuft. Die Folge ist eine unkontrollierte Masseneinwanderung von Afrikanern und Muslimen, die wir nie und nimmer integrieren können. Hier ist seitens der Politik ein moralischer Größenwahn am Werk. Gutmenschen regieren, wobei Gutmenschen eben nicht Gutes tun, sondern nur gut scheinen wollen. Sie sprechen von höchsten humanitären Idealen, aber sie meinen sich selbst.

Was ist Ihre Lösung für das Problem?

Köppel: Jeder Mensch, der zu Hause persönlich an Leib und Leben aufgrund seiner Hautfarbe, seiner Religion oder seiner Politik bedroht ist, bekommt gemäß Genfer Konvention Asyl. Daran ist nicht zu rütteln. Kriegsvertriebenen können wir kein Asyl geben, aber wir gewähren ihnen Schutz für die Dauer des Krieges. Hier setze ich mich dafür ein, daß wir vor allem Auffanglager vor Ort unterstützen. Anstatt zum Beispiel sinnlose Gender-Mainstreaming-Projekte in Burkina Faso zu finanzieren, sollten wir die Entwicklungshilfe in humanitäre Uno-Lager in den Krisenregionen umlenken. Das ist unser Asylrecht. Wenn wir diese Asyltradition ernst nehmen, müssen wir aber auch die Kraft haben, alle falschen Flüchtlinge, also alle Personen, die aus anderen Gründen kommen, die hier einfach ein besseres Leben wollen, sofort nach Hause zurückzuschicken. Es geht nicht um Härte, es geht um Konsequenz. Nur so können wir der kriminellen Schlepperindustrie das Handwerk legen. 

Deutsche Journalisten sagen so etwas nicht. 

Köppel: Ich habe Verständnis dafür, daß in Deutschland aus historischen Gründen eine gewisse Zurückhaltung besteht. Die Deutschen würden ja auch sofort von anderen EU-Staaten kritisiert, wenn sie die illegale Migration konsequent bekämpften. Andererseits ist auch viel gutmenschliche Heuchelei dabei. Ich wiederhole: Wer am Asylrecht festhalten will, muß seine Aushöhlung bekämpfen. Solidarität muß sich Grenzen setzen. Sonst zerstört sie sich selbst.






Roger Köppel, der „Schweizer Nationalkonservative“ (Spiegel) ist Chefredakteur und Verleger des Nachrichtenmagazins Die Weltwoche in Zürich. Die FAZ würdigt ihn als „den Unruhestifter der Schweizer Medienszene“. Bekannt wurde er in Deutschland vor allem durch seine zahlreichen Talkshow-Auftritte, etwa bei „Anne Will“, „Maischberger“, „Illner“ oder „Hart aber fair“. Das Branchenmagazin Schweizer Journalist wählte ihn 2006 zum „Journalisten des Jahres“, und das Wirtschaftsmagazin Bilanz attestierte ihm, mit Themen wie Sozialmißbrauch, Ausländerintegration und Islamisierung in der Schweiz nationale Debatten angestoßen zu haben. Köppel, geboren 1965 in Zürich, begann bei der Neuen Zürcher Zeitung, wurde Vize-Chefredakteur des renommierten Tages-Anzeigers, 2001 Chefredakteur der Weltwoche, 2004 der Welt in Berlin. 2006 kehrte er zur Weltwoche zurück, kaufte das 1933 gegründete Traditionsblatt, dessen Auflage um 80.000 Stück schwankt, und etablierte es als bedeutendste rechtsliberale Zeitschrift im deutschsprachigen Raum.

Foto: Journalist und Wahlkämpfer Köppel: „Die Schweizerische Volkspartei (SVP) steht für die Tradition freier Rede und Gegenrede. Das scheint manchen deutschen Journalisten zu überfordern.“

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