© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/15 / 09. Oktober 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Risse im Fundament
Marcus Schmidt

Der Bundestag hat ein fundamentales Problem. Nein, es geht zur Abwechslung nicht um die Asylkrise. Und auch die Verfassung ist nicht so weit aus den Fugen geraten, daß das parlamentarische System ins Wanken gerät.

Das Problem liegt tiefer. Genauer gesagt mehrere Meter tief im märkischen Sand und einen Steinwurf vom Reichstag entfernt am anderen Ufer der Spree. Dort wird seit mittlerweile fünf Jahren an der Erweiterung des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses gearbeitet. Das Gebäude, das unter anderem die Parlamentsbibliothek und den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages beherbergt, bildet zusammen mit dem am westlichen Spreeufer gelegenen Paul-Löbe-Haus, mit dem es über eine Fußgängerbrücke verbunden ist, das sogenannte Band des Bundes. Mit diesem sollte der Brückenschlag zwischen Ost und West im Regierungsviertel auch architektonisch vollzogen werden. 

Derzeit wird das Lüders-Haus für 190 Millionen Euro um 60 Meter Richtung Osten erweitert, um unter anderem Platz für weitere Abgeordnetenbüros und einen Konferenzsaal zu schaffen. Mit einer Freitreppe an der Luisenstraße und einem markanten Turm setzt der Betonbau auch architektonische Akzente. Doch nun ist die für Sommer 2016 geplante Fertigstellung der Erweiterung in weite Ferne gerückt. Der Grund: Die Bodenplatte, auf der der Neubau ruht, weist schwere Schäden auf. Es haben sich Risse gebildet, durch die Wasser eindringt. Damit ist an eine Fertigstellung des Gebäudes vorerst nicht zu denken. Im Gegenteil. Der Beton im Kellergeschoß des Erweiterungsbaus muß nun aufwendig saniert werden. Die aufgetretenen Risse müssen mit Kunstharz verpreßt und Hohlräume mit Beton gefüllt werden, damit die Abgeordneten zukünftig keine nassen Füße bekommen. Und das kostet. Experten rechnen mit hohen  zweistelligen Millionenbeträgen für die Sanierung. Genau weiß das aber derzeit niemand. Weitere Überraschungen nicht ausgeschlossen, denn um an die marode Bodenplatte zu kommen, muß die bereits im Keller  eingebaute Haustechnik wieder ausgebaut werden.

Schon werden in Berlin Parallelen zur Chaosbaustelle des Flughafens BER gezogen. Denn ursprünglich sollte der Neubau im Regierungsviertel bereits Ende 2012 eröffnet werden, dann im Sommer 2015, bevor der jetzt gekippte Termin für das kommende Jahr festgelegt wurde. Einen neuen Termin hat das zuständige Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung vorsichtshalber noch nicht genannt. Die Behörde ist mittlerweile Kummer gewohnt. Denn auch bei anderen Projekten, wie etwa der gigantischen neuen Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin, kämpft sie mit Baumängeln, Kostensteigerung und Zeitverzögerung. 

Etwas neidisch wird daher auf die Baustelle des Berliner Stadtschlosses geschaut. Der gewaltige Bau in der Mitte Berlins, dessen Betonkern gerade Stück für Stück hinter der rekonstruierten barocken Fassade verschwindet, liegt sowohl im Zeit- als auch im Kostenplan. Und von Wasser im Schloßkeller ist bislang auch nichts bekannt.