© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/15 / 09. Oktober 2015

Von Blut und Schönheit rauchend
Neue Forschungen zur Renaissancebegeisterung zwischen 1860 und 1914
Wolfgang Müller

Gobelins im Stil der Renaissance schmückten die von Albert Speer bis 1938 im Eiltempo fertiggestellte Neue Reichskanzlei. Diesen symbolischen? Brückenschlag zurück ins frühneuzeitliche Kriegsgewirr und ins Giftmordklima italienischer Kleinstaaten wollen Historiker nicht dem Zufall zuschreiben. Galt die Renaissance doch als eine von „Blut und Schönheit rauchende“ (Thomas Mann) Epoche, in der Politik gleichbedeutend war mit extremer Gewaltanwendung enthemmter Fürsten, Päpste, Condottieri, so daß sie Adolf Hitler selbstverständlich in den Bann habe schlagen müssen, einen Besessenen, der „Rienzi“, Richard Wagners Verherrlichung eines römischen Volkstribunen der Frührenaissance, seine Lieblingsoper nannte.

Und doch war nicht zwangsläufig „Gewaltmensch“, wer ein Faible für die blutige Geschichte und die blühende Kultur des Quattro- und Cinquecento hatte. Wie das Beispiel von Thomas Manns Schwiegervater beweist, des friedfertigen Mathematikers und Millionärs Alfred Pringsheim. Denn dessen human temperiertes Naturell hinderte den eingefleischten Wagnerianer nicht, sein Palais in der Arcisstraße zum Zentrum der Münchner „Höchstrenaissance“ auszugestalten. Aus dem Rahmen der modischen Präferenzen nicht allein des wohlhabenden deutschen Judentums fiel eine solche architektonische Demonstration jedoch nicht. Vielmehr entsprach dieses Bekenntnis zur Neorenaissance, seit Jacob Burckhardts „Versuch“ über „Die Cultur der Renaissance in Italien“ (1860), dem in Literatur, Malerei und Baukunst in ganz Europa vorherrschenden Zeitgeschmack, dem auch das wilhelminische Berlin mit Paul Wallots Reichstag im Stil der italienischen Hochrenaissance, dem Reichsbankgebäude in der Jägerstraße oder dem Preußischen Landtag huldigte, wo seit 1993 das Berliner Abgeordnetenhaus im Florentiner Ambiente residiert.

Kontinuität der deutschen Renaissance ins Mittelalter

Angesichts einer so nachhaltig Lebenswelten und Gefühlshaushalte formenden Vergangenheitsfixierung sei es um so verwunderlicher, daß, wie Helmut Koopmann und Frank Baron, die Herausgeber eines Tagungsbandes über die „Wiederkehr der Renaissance im 19. und 20. Jahrhundert“, kritisieren, dieses mentalitätsgeschichtlich und damit politisch kaum zu überschätzende Phänomen bisher in der kulturwissenschaftlichen Forschung recht stiefmütterlich behandelt worden ist.

Ihre mit deutsch- und englischsprachigen Studien bestückte Aufsatzsammlung, Resultat eines 2010 in der tiefsten US-Provinz, an der University of Kansas, veranstalteten Symposions, konnte daher nicht mehr sein als eine erste ideenhistorische Geländeerkundung. Womit zugleich die schmerzlichste Lücke entschuldigt ist, die ihr Band aufweist. Von ihnen selbst einleitend kurz angesprochen, fehlt ein Beitrag über den aus Königsberg stammenden Berliner Germanisten Konrad Burdach (1859–1936), einen einflußreichen Verfechter des Konzepts der deutschen „Eigenrenaissance“. Diese vereinnahmte Dürer, Luther, Paracelsus und Hutten als „nordische“ Protagonisten einer Weltanschauung, in deren Zentrum nicht wie bei den italienischen Humanisten die Steigerung und Ausbildung der Persönlichkeit stand, sondern die selbstgewählte religiöse, politische und soziale Integration des Individuums. Anders als Burckhardt und viele seiner Gefolgsleute, die die scharfe Abgrenzung zwischen Mittelalter und Neuzeit betonten, behauptete Burdach daher folgerichtig die Kontinuität, die die „deutsche Renaissance“ zur gebundenen Kultur des Mittelalters wahrte, die den Einzelmenschen nur als Glied einer Korporation, der Kirche und des Herrschaftsverbandes kannte.

Anstelle von Burdach konzentrierten sich die Referenten auf Thomas Mann, den prominentesten Protagonisten des deutschen Renaissancekultes. Gleich zwei Beiträger thematisieren seine Auseinandersetzung mit Renaissance, Reformation und Humanismus im „Faustus“-Roman von 1947, ohne freilich mehr als die penetrante Einfalt dieses auf „Umerziehung“ gepolten, die angelsächsische Kriegspropaganda bedienenden Alterswerkes zu repetieren. 

Was nicht verwundert, wenn einerseits Jan-Dirk Müller gesteht, ihm seien, wie „jedem“ Thomas-Mann-Liebhaber, dessen „Betrachtungen eines Unpolitischen“, die er mit dem „Faustus“ vergleicht, wegen ihres „Antidemokratismus und Antiliberalismus peinlich“. Und wenn andererseits Gert Sautermeister, seit den siebziger Jahren Anwalt einer „antifaschistischen“ Germanistik, der hier verblüffenderweise von der Verfolgung der „ethnischen Gruppe“ und der „mißliebigen Rasse“ der Juden spricht, sogar Thomas Manns „Von Luther zu Hitler“-Märchen noch weiter versimpelt: „Das Böse“, exklusiv „hervorgebracht durch das nationalsozialistische Deutschland“, sei einer in archaischen Schichten wurzelnden Seelen- und Geistesverfassung des deutschen Volkes immanent, von der es sich, anders als die Westeuropäer, zu Beginn der Neuzeit nicht befreit habe. Als Gefangene irrationaler, „teuflischer“ Mächte seien die Deutschen daher prädestiniert für den historischen „Sonderweg“ ihrer „Höllenfahrt“ in die „nationale Katastrophe“ gewesen.

Über ein derart routiniertes Nachbeten von Thomas Manns Emigrantenpolemik kommen leider auch Koopmann mit seinem auf den „Zauberer“ ausgerichteten Überblick zum „Renaissancismus um 1900“ und Hans Rudolf Vaget, der Altmeister der Thomas-Mann-Forschung, in seiner Untersuchung von Wagners „Meistersinger“ nicht hinaus, die dem Komponisten einmal mehr unterstellt, in Hans Sachsens vormodernem Nürnberg vorgreifend die nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ modelliert zu haben.

Ideologisch erfreulich weniger ambitioniert, dafür erheblich enger und eher an Spezialisten adressiert, sind die übrigen Beiträge, unter denen, neben zwei angelsächsischen Reflexionen zum Umgang mit dem „Gewaltkult“ bei Burckhardt und bei Nietzsche, hervorzuheben sind: Hans-Gert Roloffs Skizze zur Hutten-Rezeption seit Christoph Martin Wieland und David Friedrich Strauss, die Miszellen Michael Gnehms zu Ezra Pounds amerikanischer Renaissance und Maren Kösters zu Hanns Eisler und der „Faustus“-Debatte in der DDR sowie Elisabeth Galvans zu den „Florentiner-Deutschen“, zu Isolde Kurz und Aby Warburg, zurückführende Rekonstruktion der Quellen jenes Renaissancebildes, das Thomas Mann in seinem einzigem Drama, „Fiorenza“ (1905), verarbeitet hat.  

Helmut Koopmann, Frank Baron (Hrsg.): Die Wiederkehr der Renaissance im 19. und 20. Jahrhundert. Mentis Verlag, Münster 2014, broschiert, 320 Seiten, Abbildungen, 48 Euro