© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/15 / 09. Oktober 2015

Frisch gepresst

DDR-Biographien. Über das Leben in einer Diktatur oder unter einem autoritärem Regime kann man auf unterschiedliche Weise urteilen, mit dem moralischen Rigorismus eines Theodor W. Adorno und seiner Sentenz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ oder versöhnlicher, die Befindlichkeiten des ganz privaten Untertanen berücksichtigend, wie es der Satiriker Max Goldt für die Hitlerzeit auf den Punkt brachte: „Auch im Dritten Reich war zwölfmal Spargelzeit.“ Diese Ambivalenz berücksichtigte auch der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Roland Jahn, der 2014 seine Skizze über das „Überleben in der DDR“ vorlegte. Dabei widerstand Jahn der Versuchung, immer nur die Opfer- und Täterperspektive, mit deren Niedrigkeiten er von Haus aus Tag für Tag vertraut ist, zum Maßstab zu machen. Auch die eigene Dissidentenbiographie steht weniger im Vordergrund als jene von Leuten, „die es sich nicht ausgesucht haben“, unter Honecker und Mielke zu leben, denen „Frösi“ oder der Dienst „bei der Fahne“ andererseits aber als erträgliche Zumutungen des Regimes erschienen. Rechtzeitig zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit bietet der Verlag nun Jahns authentische Analyse in Taschenbuchform an. (bä)

Roland Jahn: Wir Angepaßten. Überleben in der DDR. Piper Verlag, München 2015, broschiert, 192 Seiten, 9,99 Euro





Estland. Wenn die Estin Imbi Paju als Kind ihre Großmutter darum bat, ihr etwas von der Familiengeschichte zu erzählen, sagte diese ihr immer, sie solle lieber nähen lernen. Denn das habe so mancher Frau, die in den vierziger Jahren unter der sowjetischen Okkupation nach Sibirien deportiert wurde, das Leben gerettet. Die Leiden, die Estland durch den Stalinismus erfuhr, waren bis 1990 in der Sowjetunion tabu. Die heute 56jährige Journalistin und Regisseurin Paju versucht in ihrem Buch, die Erfahrungen ihrer Landsleute zu verstehen. Grundlage dafür ist ihr Film „Memories denied“ von 2005. Ausgehend von der eigenen Familie rollt Paju die Ereignisse der Deportationswellen von 1940 und 1949 auf. Dabei werden auch Einzelschicksale erzählt, wie das des Psychologen Heino Noor, der sich zusätzlich zu dem persönlichen Bericht auch aus wissenschaftlicher Perspektive mit diesem Teil der estnischen Historie beschäftigt. (ab)

Imbi Paju: Estland! Wo bist du? Verdrängte Erinnerungen. Verlag Inspiration Un Limited, London und Berlin 2014, broschiert, 389 Seiten, Abbildungen, 18,90 Euro