© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

„Probleme müssen offen angesprochen werden“
Asylkrise II: Die Kommunen stöhnen unter der Belastung durch die Flüchtlinge / Ein Landkreis in Thüringen hat jetzt Konsequenzen gezogen
Felix Krautkrämer

Die Kommunen ächzen immer lauter unter der Last der Asylkrise. Am Montag wurde bekannt, daß fünf Landkreise in Nordrhein-Westfalen an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) appelliert haben, Maßnahmen zu ergreifen, um die Asylwelle zu stoppen. „Wir wenden uns an Sie aus großer Sorge um unser Land. Grund dafür ist der massive, immer schneller steigende und offenbar nicht mehr kontrollierte Zustrom an Flüchtlingen nach Deutschland“, heißt es in dem Schreiben. Die Kapazitäten seien erschöpft und die Helfer längst an ihre Leistungsgrenze gestoßen, beklagen die Landräte.

Ähnlich klang es bereits in der vergangenen Woche aus dem thüringischen Wartburgkreis, der ankündigte, keine Asylbewerber mehr aufzunehmen. Die „Möglichkeiten zur Unterbringung von Flüchtlingen“ seien „endgültig erschöpft“, schrieb Landrat Reinhard Krebs (CDU) Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei). Um im September alle dem Kreis zugewiesenen Asylsuchenden unterbringen zu können, hätte bereits die erste Schulsporthalle geschlossen werden müssen, beklagte sich der CDU-Politiker. „Dies hat in der Bevölkerung für größten Unmut und größtes Unverständnis gesorgt.“ Andere Unterkünfte stünden derzeit nicht zur Verfügung, weshalb nur die Option bliebe, weitere Sporthallen auf unabsehbare Zeit zu schließen. Dazu sei er aber nicht bereit, unterstrich der Landrat. Mit großem Aufwand bemühe sich die Verwaltung seit Wochen, für eine Kultur des Willkommens zu werben. Doch diese Bemühungen würden durch die sich täglich verschlechternden Rahmenbedingungen konterkariert.

Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Doch Krebs blieb bei seiner Haltung. „Ich habe das öffentlich gemacht, weil ich vom zuständigen Migrationsminister Dieter Lauinger bislang keine Antworten auf meine Fragen, wie wir die Flüchtlingskrise bewerkstelligen sollen, bekommen habe. Das sind aber die Fragen, die sich die Menschen bei uns stellen. Und wenn man die Sorgen an der Basis mißachtet, erzeugt man eine fatale Atmosphäre. Dann beantworten ganz andere die Fragen“, sagte Krebs der JUNGEN FREIHEIT mit Blick auf den steigenden Zulauf bei AfD-Demonstrationen gegen die Asylpolitik.

Krebs beteuerte, er habe mit seinem Schreiben weder gehetzt, noch sei er ein „geistiger Brandstifter“, wie es ihm einige linke Politiker derzeit vorwürfen. „Die Probleme sind da und müssen auch offen angesprochen werden. Wenn wir das nicht tun, treiben wir die Menschen nur in die Arme der Rechten“, warnte er. „Was die AfD macht, ist teilweise sehr populistisch. Aber nicht alle, die zu den Demonstrationen gehen, sind populistisch oder rechtsextrem. Wir sollten es ernst nehmen, daß die Bürger Ängste haben und sich nicht verstanden fühlen. Ich würde versuchen, mit jedem, der dort hingeht, zu reden und ihn davon abzuhalten. Aber einfach ignorieren dürfen wir diese Menschen nicht.“

Er weigere sich nicht grundsätzlich, Asylsuchende aufzunehmen. Seine Kapazitäten seien aber einfach erschöpft. Und er kenne einige Landkreise, in denen die Situation ähnlich sei. Eine Willkommenskultur sei schön und gut, „ich muß mir dabei aber auch immer die Frage stellen, kann ich die Menschen, die ich willkommen heiße, auch ordentlich unterbringen“.

Kritik äußerte der Landrat auch an der Abschiebepolitik der Landesregierung. „Wenn ich 300 abgelehnte Asylbewerber im Kreis habe, die ihren Bescheid bereits in der Hand halten, aber seit Januar gerade mal 21 Personen davon abgeschoben habe, dann muß ich mich nicht wundern, wenn die Kapazitäten zur Unterbringung erschöpft sind“, sagte Krebs.