© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

„Frau Bundeskanzlerin, wir schaffen das“
Zukunftskonferenz der CDU: Die Basis feiert ihre Parteivorsitzende Angela Merkel – und läßt sich mit unverbindlichen Sätzen beruhigen
Hinrich Rohbohm

Der Saal kocht. Wütende Proteste der CDU-Basis gegen die Zuwanderungspolitik der Bundeskanzlerin und Parteivorsitzenden Angela Merkel. Christdemokratische Landräte und Bürgermeister machen ihrem Unmut darüber Luft, daß sie bei der Unterbringung von Asylbewerbern vor Ort allein gelassen werden. Parteifunktionäre solidarisieren sich mit CSU-Chef Horst Seehofer und dessen Kritik an der Kanzlerin. Wer derlei Reaktionen auf den derzeit abgehaltenen Zukunftskonferenzen der CDU erwartet, sieht sich getäuscht. Im Gegenteil: Oft werden nicht einmal Fragen an Merkel gestellt. „Ich wollte Ihnen eigentlich nur sagen, daß sie einen ganz tollen Job machen“, äußert sich so manches CDU-Mitglied.

In Wuppertal hat die Union in die gediegene Historische Stadthalle geladen. 1.000 Christdemokraten sind gekommen. Würde jedoch auf dem Podium nicht das CDU-Logo zu erkennen sein, hätte man die „Konferenz“ auch für eine Parteiveranstaltung der Grünen halten können. „Dieses von der CSU betriebene Fischen am rechten Rand ist für mich unerträglich“, wettert etwa Peter Becker, Mitglied der CDU Remscheid und der Mittelstandsvereinigung. Besonders das Treffen Seehofers mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, dessen Partei wie die Union der EVP-Fraktion angehört, ist ihm ein Dorn im Auge. „Das ist einer der letzten Diktatoren Europas“, schimpft er. Kopfschütteln bei einigen Parteifreunden. „Da brauchen Sie nicht mit dem Kopf zu schütteln, für mich ist das ein Verbrecher.“ Starker Beifall brandet auf. Auch als Becker die CDU-Stellvertreter Armin Laschet, Thomas Strobl und Julia Klöckner auffordert, den kritischen Tönen aus der Schwesterpartei stärker entgegenzutreten.

NRW-Landeschef Laschet setzt ein zufriedenes Lächeln auf, die Aussagen des Mannes scheinen ihm zu gefallen. „Hier in NRW gibt’s kein Pegida, das Klima ist hier ‘wir schaffen das’“, ruft er ins Mikrofon. Fabian Kaese, ein jüngeres Mitglied aus Castrop-Rauxel, schwärmt davon, wie er mit Vertretern von Pro Asyl über die Zuwanderungskrise gesprochen habe. Ein weiteres Mitglied fordert, unbegleiteten jugendlichen Asylbewerbern gleich fünf statt zunächst nur ein Jahr Aufenthalt in Deutschland zu gewähren.

Auch der Landesvorsitzende des Zentralrats der Muslime ist zugegen, dankt der Kanzlerin unter dem Beifall der Zuhörer „für die deutlichen Worte der letzten Tage“. „Ich habe den Eindruck, Frau Bundeskanzlerin, daß wir unter ihrer Führung das schaffen können“, lobt auch Kai Zeubara aus der CDU Wuppertal seine Parteivorsitzende.

Kritik an Merkels Kurs ist rar, nur wenige wagen sich aus der Deckung, um ihre Unzufriedenheit kundzutun. Einer von ihnen ist der Jurist Florian Hoffmann, ein Mittelständler aus der CDU Düsseldorf. Er spricht von Rechtsbrüchen der Bundesregierung beim Euro-Rettungsschirm, kritisiert die Einwanderung aus sicheren Ländern. „In der Republik läuft einiges durcheinander“, sagt er. Es ist die härteste Kritik des Abends. Nur wenige klatschen. Merkel weist den Vorwurf des Rechtsbruchs „entschieden“ zurück. Das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, der Euro-Rettungsschirm sei rechtmäßig.

Gerd Stäblein von der CDU Bochum springt der Kanzlerin sofort zur Seite. „Was hätte Helmut Schmidt bei der Flutkatastrophe gemacht, wenn er erst die Juristen gefragt hätte?“ Tosender Applaus. Nachdenklicheres kommt von einem Parteimitglied namens Michael Müller. „Du stehst da am Wahlkampfstand und weißt keine Antwort. Wir müssen doch die Menschen auf der Straße mitnehmen und dürfen sie nicht den Randgruppen überlassen.“

Merkel läßt sich nicht festnageln

Merkel sagt jedoch auch: „Wer einen Aufenthaltstitel hat, muß sich an unsere Regeln halten. Wenn das nicht passiert, müssen wir mit der ganzen Härte des Gesetzes eingreifen und sagen, so geht es nicht.“ Sätze, die beim Parteivolk ankommen – die auf einer Zukunftskonferenz aber unverbindlich sind. Merkel weiß, daß es hier keine Beschlüsse geben kann, die sie auf etwas festnageln könnten.

Auch im niedersächsischen Stade ist der Merkel-Kult bei den ebenfalls 1.000 Teilnehmern groß. „Ich wollte nur danke an Frau Merkel sagen, ich habe keine Frage“, läßt sich eine CDU-Frau vernehmen. Der Bürgermeister von Buchholz gratuliert Merkel zu ihren „mutigen Aussagen“. Ein anderer hat sich in die Frageliste eingeschrieben, nur um vor dem Mikro zu verkünden: „Frau Bundeskanzlerin, wir schaffen das.“ Kritik wird auch hier kaum laut. Einige wenige formulieren sie verhalten. „Viele Migranten sind nicht bereit, unser Grundgesetz zu akzeptieren. Wie soll das alles denn in der Praxis laufen?“ fragt etwa die ehemalige Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Karin Tuczek. „Wir übernehmen Sozialleistungen für andere EU-Staaten“, merkt der Delmenhorster Kreisvorsitzende Heinz-Gerd Lenssen vorsichtig an. 

Nur einmal wird der Enthusiasmus kurz gestört. „Wir haben Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet und sicher an Land gebracht“, lobt die Kanzlerin. „Aber an das falsche Ufer“, ertönt der Zwischenruf eines CDU-Mitglieds. Ihn treffen sofort strafende Blicke seiner „Parteifreunde“.