© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Sie gilt als die unverständlichste, absurdeste Geschichte der Opernliteratur: Verdis „Il Trovatore“. In dem Opernführer von Wolfgang Körner, dem kurzweiligsten, der im deutschen Buchhandel erhältlich ist, heißt es zu dem Stück, daß nach diversen Bearbeitungen des Librettos „selbst Kriminalbeamte, ja sogar die in Deutschland fähigeren Beamten der Steuerfahndung nicht mehr herausfinden, um was es in dieser Oper eigentlich geht“. Nicht einmal der große, unvergessene Loriot hat sich in seinem „Kleinen Opernführer“ an dieses Stück herangewagt und es lieber ausgespart, statt dessen verworrene Handlung in der ihm eigenen Weise nachzuerzählen. Als Philipp Stölzl das lyrische Drama 2013 in Wien inszenierte, wurde er im Programmheft gefragt: „Verstehen Sie die Handlung von ‘Il Trovatore’?“ Stölzl antwortete: „Nach wochenlanger Beschäftigung: ja.“ Das mag ironisch gemeint gewesen sein, enthält aber sicher auch ein Quentchen Wahrheit.

Als ich kürzlich den „Troubadour“ erstmals hörte, am Tag der Deutschen Einheit als Live-Übertragung aus der New Yorker Metropolitan Opera in einen Kinosaal, verstand ich jedenfalls zunächst nur Bahnhof. Der im Foyer ausliegende Programmzettel mit seiner umständlich erzählten Inhaltsangabe von einer Zigeunerin, die ihr eigenes Kind verbrennt, und den zwei Brüdern, die sich nicht kennen, aber dieselbe Frau lieben, machte mich auch nicht klüger. Zudem fiel nach der Pause die Übersetzungstechnik aus; der dritte und der vierte Akt mit Leonoras Selbsttötung blieben somit nahezu vollständig rätselhaft. Immerhin rettete das großartige Sänger-Ensemble den Abend, Dmitri Hvorostovsky als Graf Luna, Dolora Zajick als die Zigeunerin Azucena und der Südkoreaner Yonghoon Lee als der Troubadour Manrico, allen voran aber Anna Netrebko als Leonora. Der russische Weltstar könnte auch das Telefonbuch vorsingen, es wäre immer noch ein Ereignis. Mit ihrem ausdrucksvollen Sopran veredelt sie jede Rolle. Schon heute fiebern Opernliebhaber ihrem Wagner-Debüt entgegen. Im Frühjahr 2016 wird sie im „Lohengrin“ an der Semperoper die Elsa von Brabant singen (Premiere: 19. Mai, die Vorstellungen sind bereits ausverkauft).

Zurück zu Verdi: Der Komponist dürfte an der irrwitzigen, grotesken Geschichte seines „Il Trovatore“ nicht ganz unschuldig sein. Seinen ersten Librettisten, Salvadore Cammarano, soll er ermuntert haben, die Erzählung „je ungewöhnlicher und bizarrer, desto besser“ zu gestalten. Kein Wunder also, daß im Urteil der Nachwelt die Handlung als krude gilt.