© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Dietmar Dath hat sich an Botho Strauß vergriffen. Genauer: an dessen Spiegel-Essay. Und das geht so: Die von Strauß entwickelte Argumentation setzte ein „Wesen“ des Deutschen voraus; solches Wesen gebe es nicht; alles Überbau; was „real“ existiert, sind Fiktionen; zum Beispiel die Fiktion einer Nation; die wurde von den aufstrebenden Klassen in England, Frankreich, Italien mit mehr oder weniger Erfolg gegen die herrschenden Klassen in Stellung gebracht; in Deutschland nicht; hier hat’s deshalb nur rückständig-romantisches Geraune; wie bei Strauß eben. Nun könnte man diese Mischung aus schlecht verstandenem Marx, Hobsbawm und Konsorten durch Nichtachtung strafen. Aber leider spricht Dath nur aus, was die anderen Halbgebildeten denken.

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„Die Verwurzelung ist wohl das wichtigste und am meisten verkannte Bedürfnis der menschlichen Seele. Es zählt zu denen, die sich nur sehr schwer definieren lassen. Der Mensch hat eine Wurzel durch seinen wirklichen, aktiven und natürlichen Anteil am Dasein eines Gemeinwesens, in dem gewisse Schätze der Vergangenheit und gewisse Vorahnungen der Zukunft am Leben erhalten werden. Natürlicher Anteil heißt: automatisch gegeben durch den Ort, die Geburt, den Beruf, die Umgebung. Jeder Mensch braucht vielfache Wurzeln. Fast sein gesamtes moralisches, intellektuelles und spirituelles Leben muß er durch jene Lebensräume vermittelt bekommen, zu denen er von Natur aus gehört.“ – Simone Weil, Lehrerin und Aktivistin, „rote Jungfrau“ und Kritikerin des Kommunismus, Kämpferin im Spanischen Bürgerkrieg und später auf der Seite von de Gaulles „Freiem Frankreich“,  Tochter aus großbürgerlich-jüdischem Haus, die zum Katholizismus konvertierte, Philosophin und radikale Asketin, kurz vor ihrem Tod 1943.

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Man fragt sich, woher Frau Merkel das sittliche Recht zu einem Satz wie dem folgenden nimmt: „Als Kanzlerin habe ich die Aufgabe, alles daranzusetzen und den Optimismus und auch die innere Gewißheit zu haben, daß diese Aufgabe lösbar ist. So gehe ich da ran.“

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Heimlicher Lehrplan I: Arte hat aus irgendwelchen Gründen noch einmal den Film „Taxi nach Tobruk“ ausgestrahlt. Es handelt sich dabei um eine französisch-spanisch-deutsche Koproduktion von 1960, in deren Zentrum eine abenteuerliche Episode aus dem Afrikafeldzug steht. Bemerkenswerterweise tauchte in dem Streifen, der nach einer französischen Vorlage von einem französischen Regisseur gemacht wurde, ein deutscher Ritterkreuzträger als Sympathieträger auf. Die Rolle war Hardy Krüger auf den Leib geschneidert, der sie schon drei Jahre zuvor in dem britischen Streifen „Einer kam durch“ verkörpert hatte. Und zuletzt kann man noch den US-Film „Der Flug des Phoenix“ von 1965 in diese Reihe stellen, in dem Krüger einen deutschen Ingenieur spielt, der zum Retter in der Notlage wird und ein in der Wüste notgelandetes Flugzeug wieder flottmacht. Die heutigen Kommentare zu diesen international sehr erfolgreichen Produktionen wirken alle etwas ratlos, bestenfalls werden sie als Beitrag zur Völkerverständigung gewürdigt. Aber das war doch nur ein Nebenaspekt. Im Zentrum ging es darum, daß die Erfahrungen der Nachkriegszeit gar nicht mehr erlaubten, auf die Deutschen mit Fingern zu zeigen, vor allem aber darum, daß man sie wieder brauchte und fürchtete, sie könnten bei fortgesetzter Demütigung ihren Einsatz verweigern. Die Sorge war allerdings unbegründet, aber das ahnte man weder unter unseren Nachbarn noch jenseits des Atlantiks. Deshalb zeigte man den „boche“ oder „Fritz“ mit menschlichem Antlitz und hielten die Mühlen der Vergangenheitsbewältigung inne, bevor sie sich wieder in Gang setzten und weitermahlten.

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Es sollte eine Altersgrenze für Cabriofahrer geben.

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Dem alten und dem neuen Augstein ist wahrscheinlich nur die Arroganz gemeinsam. Jedenfalls hätte sich Rudolf A. nie dazu herabgelassen, erwartbar jede Plattheit der Kaviarlinken im Verkündigungston von sich zu geben, wie es Jakob A. tut.

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Heimlicher Lehrplan II: Die ARD-Themenwoche „Heimat“ operierte mit jeder noch so unwahrscheinlichen Variante, also etwa der Deutsch-Kenianerin, die in Kairo aufwuchs, durch Lateinamerika streifte und in Washington studiert (Jura; Schwerpunkt: Menschenrechte). Was man sorgfältig umging, bestenfalls ein bißchen im Sinn des Folkloristischen brachte, war das Selbstverständliche, nämlich die Heimat als Ort. Daß Heimatgefühl, Heimeligkeit und Heimweh auch für den heutigen Menschen an einen bestimmten Platz gebunden sind und das auch gar nicht anders sein kann, paßt natürlich schlecht in die bunte Vielfaltswelt der virtuellen Nomaden, aber nur da ist das gewährleistet, was Heimat ausmacht, eine Stätte, „wo ich mich nicht erklären muß“ (Johann Gottfried Herder).

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 30. Oktober in der JF-Ausgabe 45/15.