© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

Frisch gepresst

Hans von Dohnanyi. Entgegen einem weit verbreiteten Vorurteils war, anders als die Sowjetunion unter Stalin, der nationalsozialistische „totale Staat“ nicht wirklich total, weil die „Gleichschaltung“ an der Komplexität der modernen deutschen Industriegesellschaft scheiterte. Zu viele Milieus, bürgerlich-liberale, aristokratische, proletarische, bäuerliche oder katholische, widerstanden der „totalen“ NS-Vereinnahmung. Aus diesen unübersichtlichen Rückzugszonen des „anderen Deutschland“ speiste sich von 1933 an der vielfältige Widerstand, der am 20. Juli 1944 im aussichtsreichsten Versuch mündete, Adolf Hitler zu töten. Maßgeblich an der Vorbereitung des Staatsstreichs beteiligt war Hans von Dohnanyi, Schwager Dietrich Bonhoeffers, der dem bildungsbürgerlichen Milieu entstammte. Er galt als Mittelpunkt der Verschwörung im Amt Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht, wo er im April 1943 verhaftet wurde. Die Gefängnisbriefe, die der am 9. April 1945 im KZ Sachsenhausen erhängte von Dohnanyi an seine Frau Christine schrieb, vermitteln eindrücklich, wie tief dieser Goethe-Kenner im „Raum der Überlieferung“ (Botho Strauß) wurzelte, der ihm Lebenssinn, Werte und die Kraft zum nationalen Widerstand gab. (ob)

Winfried Meyer (Hrsg.): Hans von Dohnanyi. Verschwörer gegen Hitler. „Mir hat Gott keinen Panzer ums Herz gegeben.“ DVA, München 2015, 351 Seiten, Abbildungen, 24,99 Euro




Bombenkrieger. Mittlerweile ist die Geschichte der alliierten Luftangriffe auf Deutschland während des Zweiten Weltkrieges umfassend erforscht. Ein Aspekt, der in der deutschen Öffentlichkeit dabei zumeist nur eine untergeordnete Rolle spielte, ist das Phänomen der „Fliegerlynchjustiz“. Mit diesem Begriff wird die Tötung alliierter Flugzeugbesatzungen, die den Abschuß über deutschem Gebiet überlebt hatten, durch Zivilisten oder Angehörige des Regimes bezeichnet. Mit der Dissertation des Grazer Historikers Georg Hoffmann liegt nun eine überaus detaillierte Studie zu diesem „großflächigen Gewaltphänomen“ vor, das sich vor allem ab 1944 nicht nur im Reichsgebiet, sondern auch in Ungarn ausbreitete. Dabei zeigt sich, daß die „Fliegermorde“, denen bis zu 1.000 Personen zum Opfer fielen, weit weniger „spontan“ waren, sondern häufig von NS-Stellen gesteuert und initiiert wurden. (ms)

Georg Hoffmann: Fliegerlynchjustiz. Gewalt gegen abgeschossene alliierte Flugzeugbesatzungen 1943–1945. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2015, gebunden, 428 Seiten, 39,90 Euro