© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

Der Populismus des Mainstream
Wolfgang Herles’ Medien- und Gesellschaftskritik
Christian Dorn

Früher begann der Tag mit einer Schußwunde“, so berichtete es einst Wolf Wondratschek. Für Wolfgang Herles, ein profilierter Kopf des deutschen Fernsehjournalismus, läßt sich dieses Fazit auf das öffentlich-rechtliche TV-System übertragen, wo alle Beteiligten jeden Morgen der Quote opfern. Diese widerspreche dem öffentlichen Auftrag des Fernsehens, dem demokratischen Diskurs zu dienen. Ein Fernsehprogramm, das möglichst allen gefallen wolle, werde „zwangsläufig beliebig“. Ein „Armutszeugnis“ sei beispielsweise die Flutung mit Krimis, für die ausreichend Geld und Programmplätze zur Verfügung gestellt würden. Überdies würden politisch wache Zuschauer für dumm verkauft. In seinem aktuellen Zustand, so sein unerbittliches Fazit, wäre die Abschaffung des Gebührenfernsehens für die Gesellschaft kein großer Verlust.

Dabei versteht Herles seine Medienkritik als Gesellschaftskritik. Denn die Gefallsucht erstrecke sich ebenso auf die Politik, der die Medien – beispielhaft der „ARD-Aktuell“-Chef Kai Gniffke – durch „Hofberichterstattung“ zuarbeiteten. Zudem ersetzten Fallbeispiele die Analyse, getreu der Devise „Menscheln und Emotionalisieren!“. Durch die Emotionalisierung vermeide der Journalist seinen eigentlichen Auftrag: die Recherche und das Argumentieren. Dies wäre nicht so verhängnisvoll, würde es nicht begleitet von den Sprach- und Denkverboten der Political Correctness, die darauf abziele, die Unterscheidbarkeit von Unterschieden zu leugnen. Wer sich nicht anpasse, komme „zu Sarrazin und Lewitscharoff in die Vorhölle“.

Die Verlogenheit des von Herles diagnostizierten „Mainstreampopulismus“ zeige sich etwa, wenn „Pegida verteufelt, der Islam jedoch beschönigt wird“. So zitiert der Autor Titel-Schlagzeilen von Spiegel, Stern oder Focus, die – lange vor Pegida – Paradebeispiele von „Islamophobie“ seien. Die vorsätzliche Fehlinformierung der Öffentlichkeit, so bei den Teilnehmerzahlen von Pegida, machten wütende Gegenreaktionen wie den Ruf „Lügenpresse, halt die Fresse!“ nachvollziehbar. Für das dramaturgische Muster der Political Correctness, die viel Lärm um relativ wenig mache, findet Herles die treffliche Formulierung von der „Entrüstungsindustrie“. Nichts lenke wirkungsvoller ab von eigenen Versäumnissen als ein solides Feindbild.

Ein solches ist in Herles’ Augen die Medienkanzlerin Merkel. Seine furchtlose Kritik ist dabei nicht neu, hatte er doch bereits unter Kohl für sein offenes Wort seinen Posten als Leiter des ZDF-Studios Bonn eingebüßt. So meint Herles zu dem von Merkel wiederholten „Islam“-Zitat des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff: „Die Parole, der Islam gehöre zu Deutschland, ist ungefähr so zutreffend wie die Feststellung, der Mond gehöre zu Deutschland, weil er doch auch in diesem Land scheine.“ 

Merkel gebe tatsächlich nur „ein Trugbild von Führung“. Als perfekte Beherrscherin der Mediendemokratie orientiere sie sich am Mainstreampopulismus. Dies greife auf vielfältige Weise die demokratische Substanz an. Ihr gerühmter „Pragmatismus“ sei daher ein Konformismus, wie ihr Verhalten zur Einwanderungsdebatte demonstriere. Hier zeige sich ihre Weigerung beziehungsweise Unfähigkeit, einen Standpunkt einzunehmen: „Sie nimmt Umfragen für wichtiger als die eigenen Überzeugungen. Darin ist sie stilbildend.“

Wolfgang Herles: Die Gefallsüchtigen. Gegen Konformismus in den Medien und Populismus in der Politik. Knaus Verlag, München 2015, gebunden, 256 Seiten, 19,99 Euro