© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

Deutscher Hefestamm
Biermarkt: Während die Giganten fusionieren, wächst ungeachtet dessen die Vielfalt der kleinen Brauereien
Paul Leonhard

Der zweitgrößte Brauereikonzern SAB Miller (Gambrinus, Grolsch, Hamm’s, Miller, Pilsner Urquell, Radegast) ist vom Weltmarktführer Anheuser-Busch InBev (Beck’s, Budweiser-USA, Corona, Diebels, Hasseröder, Löwenbräu, Spaten-Franziskaner, Stella Artois) mit dem Hauptquartier in Löwen/Flandern übernommen worden. Pro Aktie wurden 44 Pfund gezahlt, insgesamt 71,2 Milliarden Pfund (96 Milliarden Euro). Dabei ging unter, daß Hannovers Gilde-Brauerei hingegen von Inbev an die Brandenburger TCB-Gruppe (Feldschlößchen, Frankfurter Premium) verkauft wurde.

Fast parallel teilte der niederländische Brauereikonzern Heineken (Gösser, Hacker-Pschorr, Kulmbacher, Paulaner, Zipfer) mit, die größte slowenische Brauerei Pivovarna Laško komplett zu übernehmen. Das Traditionsunternehmen („Steinbier“) war ursprünglich 1825 von Franz Geyer im Kaiserbad Tüffer/Untersteiermark gegründet worden. Heineken war bisher Nummer drei der global agierenden Brauereikonzerne.

Regionale Markenvielfalt statt globale Langweile

Mit der Fusion der Weltmarktführer rückt es mit einem jährlichen Bierausstoß von 159,1 Millionen Hektolitern und einem Marktanteil von 9,6 Prozent auf den zweiten Platz vor, ist aber klein gegenüber Anheuser-Busch InBev mit jetzt 532,8 Millionen Hektolitern und einem Marktanteil von über 29 Prozent. Es folgen Carlsberg (Astra, Duckstein, Hannen Alt, Holsten, Lübzer, Kronenbourg, Pripps Blå, Tuborg) aus Dänemark und zwei chinesische Konzerne, die zusammen mehr als die Hälfte des weltweiten Biermarktes kontrollieren.

Die neue Fusionswelle bei den Bierkonzernen führt bei den Verbrauchern zu ungewohnter Neugier. Immer mehr Biertrinker recherchieren im Internet, wer eigentlich daran Geld verdient, wenn sie ihr Weizen, Pilsner oder Dunkles trinken. Und sie entdecken dabei zwei gegenläufige Tendenzen. Denn während die Giganten immer größer werden, werden die Zwerge immer zahlreicher. Hippes Kultbier sticht das stromlinienförmige, langweilige aus.

Nicht nur nimmt die Markenvielfalt zu – es gibt mittlerweile mehr als 5.500 deutsche Biere –, auch die Zahl der Braustätten wird größer. Nach Angaben des Deutschen Brauer-Bundes (DBB) sind in den vergangenen zehn Jahren rund 70 neue Brauereien hinzugekommen, die sich zumeist Hausbrauereien nennen. Jede Woche komme in Deutschland mindestens ein neues Bier auf den Markt, so der DBB. Damit könne der Deutsche rein rechnerisch mehr als 15 Jahre lang jeden Tag ein anderes Bier probieren.

Anheuser-Busch und SAB Miller haben ebenfalls deutsche Wurzeln. So legten der Braumeister Eberhard Anheuser aus Bad Kreuznach und sein Schwiegersohn Adolphus Busch aus Kastel 1870 in St. Louis/Missouri den Grundstein für den späteren Brauereikonzern. SAB Miller wiederum geht auf den Württemberger Friedrich Eduard Johannes Müller zurück, der 1855 in Milwaukee die Miller Brewing Company gründete. Der Hefestamm aller Miller-Biere ist noch heute jener aus der Hofbrauerei der Hohenzollern in Sigmaringen, wo Müller sein Handwerk erlernte.

Busch und Anheuser hatten sich dagegen ein Bier Pilsner Brauart zum Vorbild genommen. Das Rezept hatten böhmische Einwanderer mit nach Amerika gebracht. Die Erfolgsgeschichte des US-„Budweisers“ war gleichzeitig der Startschuß für den ältesten Schutzmarkenstreit: mit dem tschechischen Staat, in dessen Besitz sich die vor 120 Jahren gegründete Budweiser-Brauerei (heute Budejovický Budvar) noch immer befindet. Ebenso streiten sich die Bacardí-Familie und der kubanische Staat über die Rechte an der Marke Hatuey, die beide produzieren. Pilsner Urquell ging 1999 an den Konzern South African Breweries (SAB), wurde aber eine Zeitlang im oberschlesischen Tichau (Tychy) produziert.

Überschaubarer als der deutsche ist der Schweizer Biermarkt, weil hier in den vergangenen Jahrzehnten die großen – Feldschlösschen, Haldengut-Calanda, Eichhof – die kleinen Brauereien geschluckt haben und diese dann von Carlsberg beziehungsweise Heineken übernommen wurden. Alles begann in den 1970er Jahren mit einem Brauereisterben, der Auflösung des Bierkartells 1991 und einer sinkenden Nachfrage. Die jetzige Fusion der Giganten war für die Süddeutsche Zeitung willkommener Anlaß, sich das auf dem Münchner Oktoberfest ausgeschenkte Bier genauer anzusehen, und siehe da: Bis auf Hofbräu und Augustiner gehören alle auf der Wiesn vertretenen zu AB Inbev oder zu einem Heineken-Schörghuber-Joint-Venture. „Dort werden die Braumeister praktisch nur zum Oktoberfest mal von der Leine gelassen und dürfen dann ein Bier brauen, das den gängigen Weltmarktregeln nicht hundertprozentig entspricht. Danach heißt es wieder: Business as usual, zurück zur Einheitsware.“

Brauereifusionen sind auch immer wieder Anlaß, das in Deutschland seit 1516 geltende Reinheitsgebot in Frage zu stellen. Dieses schreibt vor, zur Bierherstellung nur Wasser, Malz, Hopfen und Hefe zu verwenden. Immerhin reichen diese Grundstoffe aus, um in den 1.300 in Deutschland existierenden Brauereien mehr als 40 verschiedene Sorten und etwa 5.500 einzelne Biermarken zu produzieren. Vor allem sind es sogenannte Craftbiere, bei denen viele kleine Braureien experimentieren und ihre Fans mit hopfen- oder malzbetonten, aromaintensiven saisonalen Bierkreationen erfreuen. „Die kräftigen Aromen, die sie aus den bekannten vier Rohstoffen herauskitzeln, sind oft sehr speziell und erfordern einen geeigneten Anlaß zum Genuß“, lobt der DBB. Die Gegner des Reinheitsgebotes erhoffen sich neuen Schwung auf dem Markt, wenn es fällt. Die Nachrichten über die Mega-Übernahme auf dem Biermarkt dürfte für den einen oder anderen Biertrinker auch Anlaß sein, sein „langweiliges Fernsehbier“ (Süddeutsche) beiseite zu stellen und beim Getränkehändler nach dem neuesten Regionalbier zu fragen.

Zu entdecken gibt es da immer etwas. Nirgendwo gibt es in Deutschland übrigens so viele Brauhäuser wie in Franken. Umfassenden Überblick biete das neue Buch „Brauereien und Brauereigasthöfe in Franken: Alle Braustätten, Biere, Museen und Bierfeste“ von den beiden bekannten „Bier-Päpsten“ Bastian Böttner und Markus Raupach, die darin Hunderte Alternativen zu den Konzernbrauereien vorstellen.

Verband Private Brauereien ist der Vertreter der mittelständischen Brauwirtschaft: www.private-brauereien.de

Der Deutsche Brauer-Bund (DBB) vertritt zwölf Großverbände und Braukonzerne: http://www.brauer-bund.de

Bastian Böttner, Markus Raupach: Brauereien und Brauereigasthöfe in Franken. Nürnberger Presse Verlag. Nürnberg 2015, 672 Seiten, broschiert, 19,90 Euro