© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

Lückenlos überwacht
Reise nach Nordkorea: Zehn Tage voll Überraschung und Entsetzen
Elke Lau

Das wird spannend. Einfach mal eine zehntägige Tour durch ein weitgehend unbekanntes und berüchtigtes Land wagen. Da es für die staatliche Fluggesellschaft Air Koryo wegen Sicherheitsmängeln in Europa ein Betriebsverbot gibt – eine Ausnahme gilt für das Exemplar des Flugzeugtyps Tupolew Tu-204 – geht es zuerst mit der Konkurrenz nach Peking. 

Es folgt eine 24stündige Zugfahrt von Peking nach Pjöngjang.Wir beziehen das reservierte Schlafwagenabteil und wollen das Gepäck verstauen. Das gestaltet sich schwieriger als erwartet, weil der  vorgesehene Raum bereits mit Paketen vollgestopft ist. Anscheinend Schmuggelware. Während der Nachtstunden schauen die koreanischen Zugbegleiter nach, ob die Kartons noch an Ort und Stelle stehen.

Selbst der Gang zur Toilette wird überwacht

Am nächsten Morgen erreichen wir die Grenze. Unzählige Reisende mit Kisten, Koffern und Säcken besetzen  die Gänge, sogar das Klo dient als Lagerraum. Nach drei Stunden passieren wir die Grenze. Nordkoreaner kontrollieren Pässe und Einreiseformulare. An der nächsten Station ist der Spuk dann flugs vorbei. Die Landschaft ist eintönig. Endlose Mais-, Reis- und Sojabohnenfelder, Ochsenkarren mit Hakenpflügen teilen sich die Feldwege mit Menschenmassen, die irgendwohin laufen oder per Fahrrad Güter transportieren.

Am Abend wird unsere Kleingruppe in Pjöngjang von Reiseleiterin Sury, „Bewacher“ Han und Fahrer Kim erwartet und zum Hotel gebracht. 46 Stockwerke inklusive Drehrestaurant liegen abgeschottet auf einer Insel des Flusses Taedong. 

Im Foyer herrscht Hochtrieb. Hauptsächlich sind es Jugendgruppen, die hier zu Sportveranstaltungen anreisen, Chinesen und Offizielle. Die sind an den Abzeichen mit den Köpfen von Großvater und Staatsgründer (Kim Il-sung) und Vater (Kim Jong-il) zu erkennen. Über einen riesigen Bildschirm flimmern Propagandafilme mit Marschmusik, im Mittelpunkt der junge Kim Jong-un.  

„Heißes Wasser gibt es erst um 19.40 Uhr“, verkündet Sury, die sehr gut deutsch spricht, „findet euch bitte um 20 Uhr in der Lobby ein, damit ich euch zum Abendessen begleiten kann.“ Für den heutigen Abend ist ein Tisch im Souterrain reserviert – in einem Raum, der fünfzig Personen Platz bietet. Aber wir bleiben allein. Auch Reiseleiter und Aufpasser dürfen sich nicht zu uns setzen.  

Die Gerichte sind den chinesischen nicht unähnlich. Huhn, Ente, kleine Plattfische, Reis, Brühe, scharfer Kohl, frittierte Kartoffeln, dazu eine Flasche Bier für einen Euro und ein Wasser. Es darf nachbestellt werden. Zur vereinbarten Zeit erscheint Sury und informiert uns über das Programm. Ohne Angabe von Gründen verkündet sie, daß Wonsan, die „landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft“ und der Besuch des Zisterzienserklosters gestrichen wurden.  

Im Planetarium, Technik-, Kunst- oder Weltraum-Museum werden wir von Koreanerinnen in Tracht erwartet und müssen uns gebetsmühlenartige Beweihräucherungen und Grußadressen an die ach so geliebten toten Führer anhören. Wir sind die einzigen Besucher.

Nachmittags dürfen wir in den Zirkus. Mit uns zweitausend weitere Besucher, darunter eine westliche Delegation in Unterhemden und zerrissenen Hosen, mit Pferdeschwänzen und wilden Bärten. „Sie sind auf Einladung der Regierung da“, sagt Sury. Anderthalb Stunden dauert der rasante Ablauf spektakulärer Darbietungen mit großem Orchester. Das Publikum applaudiert enthusiastisch. Sury mahnt: „Wir müssen los, das Massentanzen beginnt bald.“ Es wird der einzige Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung bleiben. 

Der Kim-Il-sung-Platz ist dann bereits in gleißendes Licht getaucht. Um die 20.000 festlich gekleidete Menschen tanzen nach koreanischen und westlichen Melodien, Männer in schwarzen Hosen und weißen Hemden, Frauen in knallbunten Gewändern mit langen, bauschigen Röcken. 

Unsere Überwachung ist lückenlos. Han ist stets präsent, auch beim Gang auf die Toilette. Nach dem Feuerwerk werden wir ins Hotel gebracht. Manchmal fahren Sury oder Han mit und verschwinden in einem stockdunklen Flur. Aber nicht in der 5. Etage, die fehlt. Han ist übrigens der Sohn eines hohen Funktionärs. Während eines Propagandafilms rief er plötzlich: „That is my father“, und zeigte auf einen Mann in unmittelbarer Nähe des jungen Führers. 

Am nächsten Morgen geht es weiter. Basketball-, Schwimm-, Eissport-, Bowlinghallen, Stadien und Tanzpaläste ließen Großvater und Vater, wie sie  genannt werden, für ihr Volk errichten. Es folgen Jucheturm, Triumphbogen, höher als der in Paris, Denkmale zu Ehren der Parteigründung, der gefallenen Soldaten, der Volksarmee, die Gedenkstätte für den vaterländischen Befreiungskampf – und nirgends ist ein Besucher zu sehen. 

Der Gipfel der Gigantonomie ist das Mausoleum, in dem die einbalsamierten Führer ruhen. Kontrollen wie im Hochsicherheitstrakt eines Zuchthauses einschließlich Luftschleuse und Körperscanner. Ein Spalier von Angestellten, das aufgrund ihrer Ausstattung einem Fünfsterne-Hotel vorstehen könnte, und strammstehende Soldaten beobachten jede einzelne Bewegung. 

Wir werden auf ein hochmodernes etwa 300 Meter langes Rollband verfrachtet. Dann betreten wir die erste Halle. Vor uns sind die in Bussen hergekarrten Frauen in ihren bunten Trachten, die sich nun vor dem Großvater verneigen und theatralisch in ihr Taschentuch schluchzen, das einzige Utensil, dessen Mitnahme gestattet ist.

Gleiches Procedere in der zweiten Halle, die die Leiche des Vaters beherbergt, gleiches Procedere in der dritten, in der beide als Wachsfiguren von den Sockeln grüßen. Es folgen Säle mit Orden an schweren Goldketten, Ehrendoktorwürden, Ausstellung der Luxus-Waggons, die von den Führern zu Lebzeiten benutzt wurden. Sogar zwei gepanzerte Mercedes-Limousinen sind dabei. Unzählige Gemälde an den Wänden, die nur ein Motiv haben: die wächsernen Gesichter der „Wohltäter“. 

Irgendwann hat die Farce ein Ende, und wir sind sprachlos und wütend bei dem Gedanken an das hungernde Volk, Stromsperren und Mangelwirtschaft. Die Menschen auf den Straßen sind dünn und ernst. Niemand spricht, lächelt oder erwidert unseren Gruß.

Kinderspielplätze ohne Kinder, Achterbahn und Riesenrad stehen still. „Es ist schon Feierabend“, sagt Sury. „Nachmittags um vier?“ fragen wir verständnislos. Sie zuckt mit den Schultern.

Am nächsten Tag liegen 160 Kilometer zum Freundschaftsmuseum im Myohyang-Gebirge vor uns. Die breiten Fahrbahnen ohne Mittellinie sind eine einzige Buckelpiste. Darauf Lastwagen, auf deren Ladefläche Soldaten dichtgedrängt transportiert werden. Sie atmen unmittelbar die Rauchschwaden des Holzvergasers ein. Deutsche Luxusmarken fahren im Konvoi vorbei. 

Kinder spielen am Wegesrand. Die älteren entfernen Unkraut oder verteilen kleine weiße Kieselsteine. Anstelle von Leitplanken hatte man als Fahrbahnbegrenzung buntblühende Schmuckkörbchen gepflanzt. Frauen, die auf ihrem Rücken Holzstapel transportieren, Wasserträgerinnen in Uniform mit zwei vollen Eimern. „Hier sind die Frauen für die schwere Arbeit zuständig“, sagt Sury.

Nirgends ist ein Dorf zu erkennen. Auf den Feldern sind Bambusstöcke mit Strohdach, Hochsitzen ähnelnd, aufgestellt. „Darin sitzen Soldaten und schützen die Ernte vor wilden Tieren“, erklärt Sury. „Manchmal passen Bauern auf, daß fremde Brigaden die Ernte nicht stehlen.“

Das Museum beherbergt 170.000 Geschenke, zumeist aus der Sowjetunion und anderen kommunistischen Staaten. Beeindruckende Elfenbein- und Goldarbeiten, Porzellan, sogar ein Flugzeug ist dabei – eine Zeitreise, denn die Geber sind meißt Geschichte.

Im Hotel sind wir wie immer die einzigen Gäste. Als Frühaufsteher entwischen wir unserem Bewacher. Eine völlig menschenleere Allee wird gefegt. Vor einem Monument des Großvaters entfernen etwa achtzig Kinder mit Reisigbesen und Schaufel Laub, verschwinden im Park und tauchen wenig später mit Blumensträußen auf, die sie am Monument für den großen Führer ablegen. 

Nach dem Besuch der streng bewachten Demarkationslinie zum Nachbarn Südkorea geht es zurück nach Pjöngjang. Ab und zu kontrolliert ein Polizeiposten die Passierscheine, denn Nordkoreaner dürfen nicht ohne Genehmigung die Gebiete wechseln. 

Am Friedensdenkmal haben wir eine Panne. Neben uns steht regungslos ein Landarbeiter. Als ein Linienbus hält, sprintet der Mann zum Fahrer, kehrt mit zwei Geldbündeln zurück und schwingt sich auf sein Rad. „Er bringt das Geld den Dorfbewohnern“, erklärt Sury.

Für den nächsten Tag ist ein Ausflug in die Kumgang-Berge vorgesehen. Nachdem Fahrer Kim erfolgreich fünf Stunden die Schlaglöcher umfahren hatte, erreichen wir das Meer. Pause direkt am Strand. Der ist aber nur für ein paar hundert Menschen zugänglich, denn die gesamte Küste ist mit Starkstromzaun  – gegen Spionage, Kampfschwimmer,  meint Sury – gesichert. 

Verneigen vor dem großen Führer

Die Reise neigt sich dem Ende zu. Die Hälfte unserer Garderobe ist in Surys Koffer gewandert, auch Kosmetikartikel, Medikamente und Süßigkeiten. Mit herzzerreißenden Schilderungen ihres Alltags versucht sie, unser Mitleid zu steigern. Sie erzählt von Wasser- und Brennmaterialtransporten in den 13. Stock, huckepack muß sie ihre Großmutter zum Arzt tragen und andere dramatische Situationen sollen ihre Geldnöte offenbaren. Warum wir mißtrauisch wurden? Trotz der kostenlosen Musikstunden läßt sie ihrer 13jährigen Tochter Einzelunterricht erteilen, für 50 Euro im Monat. Das sind 400.000 Won auf dem Schwarzmarkt.

Der letzte Tag in Korea. Beim Besuch einer Bronzestatue des Großvaters muß ein Blumenstrauß zu dessen Füßen abgelegt werden. Wir opfern uns. Am Kiosk dürfen wir die Blumen nicht kaufen, sondern bei einer plötzlich auftauchenden Händlerin. Folgsam verneigen wir uns ein letztes Mal, dann ist der Affenzirkus für uns überstanden. 

Auf der Bahnfahrt nach China beobachten wir Militärfahrzeuge, die aufgrund von „Provokationen Südkoreas“ massenhaft zusammengezogen werden. Wir sind erleichtert, als wir in Shenyang chinesischen Boden betreten.