© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

Dorn im Auge
Christian Dorn

Im Anfang war das Wort. Mit der Verheißung des Johannes-Evangeliums wohnt den ersten Schritten auf der Buchmesse jedesmal ein Zauber inne. Doch Schutz und Hilfe verbleiben im Auge des Betrachters. Ist es Zufall, daß vor den Toren der Frankfurter Messehallen christliche Schriften zur Existenzbegründung Gottes verteilt werden? Die erste Botschaft, die ins Auge springt, prangt am Stand des Gabal-Verlages: „Die Multitasking-Falle – Warum wir nicht alles gleichzeitig sein können“, ein Titel von Devora Zack. Im selben Moment verkündet Charlotte Roche direkt gegenüber, am Stand der Zeit, man solle „alles gleichzeitig sein dürfen – darum geht es mir“. Worum es ihrem Interviewer, Zeit-Herausgeber Josef Joffe geht, ist offensichtlich. Dem publizistischen Sugar-Daddy ist natürlich bewußt, daß Roches Roman nicht die Form von Literatur ist, mit der er vertraut ist.

Doch „Das Mädchen für alles“, so der Romantitel (Piper), hat eine Verfasserin, die gewitzt zwischen Figur und Autorin wechselt und buchstäblich auf alles eine Antwort weiß. Wenn nicht, wiederholt sie einfach das sinnfreie Fazit von Joffe: „Das Baby hat keine schuld, das ist mal Sache.“ Die lesbische Beziehung, so erfahren wir, sei „ein Mittel zum Zweck“. Wie ein lakonischer Kommentar wirkt die am Stand feilgebotene Zeit-Ausgabe, im Titel fragend: „Was heißt Familie?“ 

Und was heißt Recht? Udo Di Fabio, einst Richter des Bundesverfassungsgerichts, stellt sein neues Buch „Schwankender Westen“ (C.H. Beck) vor. Auf bestechend diplomatische Art leuchtet er dem politisch-korrekt fragenden Moderator von Deutschlandradio Kultur heim, der insinuiert, Pegida-Demonstranten würden niemals Di Fabios Buch lesen. Das hier gesprochene „Tacheles“ – nachzuhören in der Mediathek des Senders – läßt an Deutlichkeit dennoch nichts vermissen, so dekretiert Di Fabio: „Auf dem Landweg kann eigentlich keiner nach Deutschland gelangen, um sich auf das Asyl zu berufen – vielleicht sollte mal jemand wieder das Grundgesetz lesen.“ 

Am Bus von Amnesty International steht die Losung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Ich denke: Ach was, via Touch-Screen ist auch das machbar. 

In der DDR hieß es: Wer miteinander redet, schießt nicht. Hier gilt: Wer miteinander redet, liest nicht. Für das Buchregal im trauten Heim ist das auch nicht notwendig, wie eine Besucherin verdeutlicht, die zu ihrer Begleiterin spricht: „Ich will genug einheitliche Bücher haben, damit das ein schönes, einheitliches Bild ergibt.“