© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

Er sah ihn einfach nur mit großen Augen an
Erinnerungen: Stefan Petzner geht in „Haiders Schatten“ auf Distanz zu seinem „Lebensmenschen“
Thomas Hillenbrand

Jörg Haiders Tod in den frühen Morgenstunden des 11. Oktobers 2008 erzeugte seinerzeit eine Welle aus bizarren abseitigen Vermutungen und  – zumeist bei seinen Anhängern – Verschwörungstheorien. Wer die damalige Berichterstattung genau verfolgte, war verunsichert über die Macht der etablierten Medien, die mit allen Mitteln arbeiteten, um Haider nach seinem Tod weiter zu diskreditieren. Insofern wird man Stefan Petzner ein wichtiges Verdienst zubilligen müssen: Nach der Lektüre seines Buches scheinen die Mythen über Haiders Tod widerlegt und obsolet. Petzners Buch ist sehr genau in seinen autobiographischen und biographischen Teilen, es findet sich weder ein Hinweis auf Homosexualität Haiders, noch darauf, daß der Landeshauptmann in sinistre Geschäfte verwickelt war. Aller Wahrscheinlichkeit nach war Haiders Tod ein Unfall – wenn auch ausgelöst durch hohen Alkoholkonsum. 

Ein Interview mit Haider verändert für Petzner alles

Lesenswert ist vor allem der erste Teil von Petzners Buch, in dem er plastisch seine Kindheit auf dem einsam gelegenen Bauernhof in den Karawanken schildert. Glaubhaft und ohne Selbstinszenierung vermittelt er das Bild eines schüchternen, unsicheren und bei seinen Mitschülern nicht sonderlich geachteten Kindes. Früh schon kommt er mit Politik in Berührung, sein Onkel engagiert sich für die ÖVP, der Vater ist Gemeinderat für die Freiheitlichen, kandidiert später vergeblich für den Steirischen Landtag. Die politischen Diskussionen innerhalb der Familie drehen sich zumeist um Haider, der seit 1986 FPÖ-Chef und seit April 1989 Landeshauptmann von Kärnten ist. „Er war der Mann aus dem Fernsehen, der sich mit allen anderen anlegte, der jung, frech und anders war, modern wirkte, und der für alle der Größte zu sein schien, selbst für die, die sich über ihn mokierten“, schreibt Petzner.

Seinem Idol Haider begegnet er als Achtjähriger zum ersten Mal 1989 bei einer Wahlveranstaltung, läßt sich von ihm eine Autogrammkarte geben. „Ich erstarrte fast vor Ehrfrucht und sah ihn einfach nur mit großen Augen an“, erinnert sich Petzner. Wochen später soll er in der Schule einen Aufsatz zum Thema „Mein Traumberuf“ schreiben. Er muß nicht lange überlegen: Generalsekretär in der FPÖ unter Jörg Haider – ein Traum, der sich erfüllen wird.

Das Bild des gehemmten Kindes wandelt sich im weiteren Verlauf. Der junge Stefan Petzner entwickelt sich, vor dem Spiegel übt er zu reden und wird sich seiner Fähigkeiten und der sich daraus ergebenden Möglichkeiten mehr und mehr bewußt. Er arbeitet zielstrebig daran, seine Begabungen, sein Auftreten und nicht zuletzt sein Äußeres zu optimieren. Als Abiturient gibt er bereits ein ganz anderes, differenzierteres und anziehenderes Bild ab.

Als Student – er arbeitet für die Kleine Zeitung – kommt es zur zweiten und entscheidenden Begegnung mit Haider: Ein Interview mit dem Landeshauptmann steht an. Dieser scheint sich Ende 2002 eher auf dem Abstieg zu befinden, eine im wesentlichen durch ihn selbst verursachte Neuwahl auf Bundesebene ergibt starke Stimmenverluste der FPÖ, nicht einmal seine Wiederwahl in Kärnten ist wahrscheinlich. 

Es entwickelt sich eine Freundschaft, zunächst anscheinend wenig berührt von politischen Einstellungen. Erfolgreiche Aktivitäten für die FPÖ an der Universität zusammen mit seinem Organisationstalent, nicht zuletzt seine robuste Arbeitskonstitution, ebnen trotz seines jugendlichen Alters Stefan Petzners bald die Bahn für seinen raschen Aufstieg in politische Ämter bis zum Generalsekretär der von Haider ins Leben gerufenen FPÖ-Abspaltung BZÖ während der zwei letzten Lebensjahre des Landeshauptmanns. Auch die während dieser Erfolgsphase immer wieder eingestreuten Zweifel des Autors über seine Eignung für das politische Amt und die Frage, ob es für ihn eine Zukunft nach Jörg Haider gäbe, tragen zur Authentizität bei. Petzner war im Gegensatz zu seinem damaligen Idol kein emotionaler Politiker, seine Überlegungen und Entscheidungen sind vorrangig von Abwägung, Reflexion und auch Kalkül geprägt.

Eine präzise Chronologie des Todestages von Haider

Der zweite Teil des Buchs mit den Kapiteln „Haiders letzte Geheimnisse“,  „Die Entzauberung des Populisten“, „Haiders letzter Auftritt“ löst den anfänglich positiven Eindruck jedoch nicht ein. Haiders „letzte Geheimnisse“ sind anders als die Überschrift vermuten läßt, keineswegs sensationelle Enthüllungen, sondern in der Politik – und speziell in der österreichischen Politik – als nicht ungewöhnlich anzusehen. Es geht um Konten in Liechtenstein, Geldgeschenke von Gaddafi und Husseins Ölquelle („ein rein symbolisches Geschenk“), den Fall des Kärtner Bankkonzerns Hypo Alpe Adria und Haiders Umgang mit Landesvermögen. 

Petzner schreibt dazu, wenn Haider neue kostenträchtige Projekte umsetzen wollte, sei die Verschuldung des Bundeslandes für ihn ebenso „zweitrangig“ gewesen wie die Frage, „auf welche Weise die Kärntner Landesbank Hypo Alpe Adria, über die das Land manche seiner Projekte finanzierte, mit ihrem Risiko umging“. Die Bank habe ihm „nur als Vehikel zur eigenen Inszenierung“ gedient, für ihre Geschäfte habe er sich als „schlechter Kaufmann“ nicht interessiert.

Petzner vermittelt bei der wenig gelungenen „Entzauberung“ den Eindruck, sich distanzieren und entschuldigen zu wollen, er relativiert sein eigenes Wirken. Warum? Ansichten und Einstellungen können sich ändern, aber sollte man nicht die Kraft haben, zu seinen früheren Einstellungen zu stehen? Von Freund und Feind wurde der Landeshauptmann als Ausnahmegestalt angesehen, ob Petzners nun folgende Trivialisierung seines früheren „Lebensmenschen“ also angemessen ist, muß der Leser entscheiden. Ihn als „im Prinzip triviale Figur“ hinzustellen, zeugt weder von profunder Menschenkenntnis, persönlicher Festigkeit noch von einem Mindestmaß an Loyalität. Das Kapitel über Populismus ist das schwächste des ganzen Buches, hier finden sich alle Mainstreamanalysen, die wenig zutreffende und tausendmal gelesene Betrachtungsweise läßt eine tiefergehende Untersuchung vermissen. 

Das letzte Kapitel „Haiders Abschied“ ist wieder fesselnd und lesenswert, denn der Autor vermittelt dicht und anschaulich den letzten Tag im Leben des Landeshauptmanns bis zum unvermutet letzten Abschied in der Diskothek „Le Cabaret“. Stefan Petzner gelingt hier eine konsequente Fortführung des ersten Teils seines Buches – etwa in der bewegenden Schilderung seiner allerletzten Begegnung mit dem toten Jörg Haider im Krankenhaus: „Ich umfaßte mit beiden Händen sein Gesicht. Es war kalt und starr. In diesem Moment traf mich der Schock so richtig.“ Der heute 34jährige Autor spart hier seine Trauer und seine Emotionen nicht aus – ein Gesichtspunkt, der den Leser wieder mit dem Buch versöhnt.

Fazit: Ein trotz einiger Schwächen durchaus lesenswertes Buch mit einem gewissen Erkenntnisgewinn.

Stefan Petzner:  Haiders Schatten. An der Seite von Europas bedeutendstem Rechtspopulisten. edition a, Wien 2015, gebunden, 224 Seiten, 21,90 Euro