© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

Gigantomanie mit langer Tradition
Windenergie: Großer Effizienzsprung / Weiche Einspeisung dank moderner Regelungstechnik
Heiko Urbanzyk

Wer im Urlaub einmal das Vergnügen einer Hafenrundfahrt im Emdener Seehafen hatte, wird die riesigen Bauteile für Windenenergieanlagen (WEA) gesehen haben, neben denen die LKW und Gabelstapler fast wie Kinderspielzeug wirken. Der Emdener Hafen ist ein Hauptumschlagplatz dieser an dieser Stelle noch zerlegten Kolosse. Auch der Aufbau oder die Reparatur eines solchen „Windrades“ bieten einen faszinierenden Anblick zeitgenössischer Baukünste.

Seit 1.500 Jahren nutzt der Mensch die Windkraft. „Die frühesten schriftlichen Belege für die Windkraftnutzung durch Maschinen finden sich auf den Gebieten des heutigen Afghanistans um 600 n. Chr. und Chinas um 1.000 n. Chr.“, schreibt der Jurist Jan Thorbecke. Seine Dissertation zum Thema Kleinwindanlagen erschien dieses Jahr. Die nur in Superlativen beschreibbaren gigantischen Masten mit einem Rotordurchmesser bis weit über 150 Meter (entspricht über 18.000 Quadratmeter Rotorfläche) und einer Höhe von über 200 Metern sind laut Thorbecke eine Erscheinung erst der letzten 20 Jahre.

Großwindkraftanlagen schon in den dreißiger Jahren

„In Deutschland hatten Kleinwindanlagen mit einem Rotordurchmesser von maximal 21 Metern Mitte der 1980er Jahre noch einen Marktanteil von 100 Prozent.“ Windstrom war damals, so Thorbecke, die Angelegenheit ökologisch bewegter Hauseigentümer und Landwirte mit Wunsch zur Eigenstromversorgung. Bereits in der zweiten Hälfte der Achtziger schwand der Marktanteil auf 20 Prozent im Windsegment. „Mit dem ersten ‘Windboom’ Mitte der 1990er war das Marktsegment in Relation zur Nutzung größerer Anlagen nicht mehr wahrnehmbar.“

Die erste Tendenz zur Entwicklung von Großwindkraftanlagen verortet Thorbecke bereits in den 1930er und 1940er Jahren. „Im Jahr 1941 wurde in den USA wohl erstmals eine auch nach heutigen Maßstäben nicht mehr als Kleinwindanlage zu bezeichnende Windkraftanlage mit 1,25 Megawatt (MW) tatsächlich gebaut.“

Zum Vergleich: Die derzeit leistungsstärkste WEA, die E-126 von Enercon (Baujahr 2007), produziert 7,5 MW. Das reicht laut einer Enercon-Broschüre für die Versorgung von 5.000 Vier-Personen-Haushalten. Doch Größe ist im Windenergiebereich nicht alles. Das weitaus jüngere Modell Siemens SWT-6.0-154 aus dem Jahr 2011 übertrifft die E-126 im Rotordurchmesser um 27 Meter und bringt doch nur sechs Megawatt Leistung.

Wie wird aus Wind eigentlich Strom? „Die Rotorblätter wandeln die Bewegungsenergie des Windes in eine Drehbewegung, und diese wandelt ein Generator, ähnlich dem Dynamo-Prinzip, in elektrischen Strom um“, erklärt der Bundesverband Windenergie (BWE) in seinem „A-Z“ der Windenergie. Für die Leistung, die dem Wind entzogen werden könne, sei maßgeblich die von den Rotorblättern überstrichene Fläche beziehungsweise spezielle Bauart der Rotorblätter sowie die Windgeschwindigkeit von Bedeutung. „Gerade die Windgeschwindigkeit ist für den Ertrag einer Anlage entscheidend, da sie – physikalisch betrachtet – mit ihrer dritten Potenz einfließt. Das bedeutet: Bei der Verdoppelung der Windgeschwindigkeit verachtfacht sich die Windleistung.“

Eine Windenergieanlage könne maximal 59 Prozent der im Wind enthaltenen kinetischen Energie in mechanische Energie umwandeln. Moderne Anlagen erreichen laut BWE einen Wirkungsgrad von 45 bis knapp 50 Prozent. Braunkohle­kraftwerke erreichen demgegenüber mit 35 bis 40 Prozent einen deutlich niedrigeren Wirkungsgrad. Über 40 Prozent findet man selten.

In Düsseldorf wird im Jahr 2016 mit dem Block Fortuna das weltweit modernste Gaskraftwerk ans Netz gehen. Neben der Stromerzeugung wird die Abwärme 30.000 Haushalte beheizen. Der Wirkungsgrad liegt damit bei 85 Prozent. Aber Gaskraftwerke sind unrentabel, weil Strom – auch dank erneuerbarer Energien – an der Strombörse derart günstig ist, daß sich das Verbrennen von teurem Gas dafür nicht rechnet. Unter den Erneuerbaren gilt Windstrom als kostengünstigste Energiequelle, preislich nur knapp hinter der Steinkohle.

Große Bodenversiegelung durch Betonfundament

Der Betriebsbereich einer WEA liegt laut BWE „zwischen der Einschaltwindgeschwindigkeit (2,5 bis 4 Meter pro Sekunde), bei der die Anlage beginnt, elektrische Leistung in das Netz abzugeben, und der Abschaltwindgeschwindigkeit (25 bis 34 Meter pro Sekunde).“ Geht die Anlage ans Netz, geschieht dies „weich“, das heißt gleitend unter Einsatz von moderner Regelungstechnik. Weht der Wind zu stark, wird die Leistung herabgeregelt, um eine gleichmäßige Einspeisung zu gewährleisten. Bei modernen Anlagen verhindert eine sanfte Sturmabschaltung, daß die Leistung abrupt abbricht, was Störungen im Netz vermeiden hilft.

Die durch die Erneuerbaren Energien befürchteten „Blackouts“ bei Windflauten sind bisher ausgeblieben. Die ständig auf Abruf laufende Braunkohle- und Kernkraft trägt dazu bei. Andererseits ist das Problem der Speicherung von Überschußstrom aus windstarken Zeiten nicht gelöst (JF 35/14). Zur Zeit drehen sich laut BWE an Land insgesamt Rotoren mit einer Leistung von 38.000 MW. Dazu kommen weitere 1.000 MW auf hoher See. In den kommenden Jahren erwartet der Verband weitere Installationen auf dem Land von jeweils um 3.500 bis 4.500 MW ersetzen etwa vier AKW-Blöcke.

Ein „Spargel“, wie er heute üblicherweise in der Landschaft steht, versiegelt durch sein Betonfundament 2,5 bis 3.000 Quadratmeter Fläche. Dies in einer Zeit, in der die Bundesregierung längst versprochen hat, die Bodenversiegelung in Deutschland zu verlangsamen.

Trotz des WEA-Booms sieht die Branche sich allerlei Widerständen ausgesetzt. Marcus Brall von der Firma EEG-Projektierungen plant deutschlandweit als Projektleiter die Errichtung neuer Windräder. „Drei bis vier Jahre dauert ein Projekt von der grünen Wiese bis zur fertigen Anlage“, erklärt Brall der JUNGEN FREIHEIT.

Neben dem behördlichen Genehmigungsverfahren plagen ihn die Verhandlungen mit Grundstückseigentümern, Anwohnern und Netzbetreibern. Letztere verweigerten immer wieder den gesetzlich garantierten Anschluß der Anlagen an den nächstgelegenen Einspeisepunkt und verlangten, daß kilometerlange Kabeltrassen gebaut werden, obwohl sie diesbezüglich regelmäßig im Rechtsstreit unterliegen. Würden Termine nicht eingehalten, sinke die Rentabilität der WEA durch schwindende Einspeisevergütungen. Verzögerungen der Projekte machten diese schnell zum Minusgeschäft. „Ein Tag Projektverzögerung in der Bauphase kostet uns mehr als 100.000 Euro“, veranschaulicht Brall die Sorgen der Branche.

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