© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

Jegliches hat seine Zeit
Die ehedem staatlich protegierte Rockband Puhdys sagt tschüß
Paul Leonhard

Gitarrenbetonter Rock, rauhe Stimmen, vor Jahrzehnten entstandene, noch immer populäre Balladen, eine perfekte Lichtshow und dichtgedrängte Fans: Tausende kommen überall in Deutschland zu den Konzerten, um ihre Band würdig zu verabschieden. Die Puhdys, die populärsten und kommerziell erfolgreichsten Rocker aus dem untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaat, die einstige Vorzeigeband der Nomenklatura, machen nach wohl 4.000 Konzerten und 46 Jahren auf der Bühne Schluß. Die Rockerrente ist endlich erreicht. Schließlich sind die meisten der Bandmitglieder über 70 Jahre alt. „Wir wollen ja nicht eines Tages von der Bühne fallen“, liefert Bandmitgründer Dieter „Maschine“ Birr eine einleuchtende Erklärung.

Bühne frei für die brav Linientreuen

Diese Tournee also noch. Bis zu den beiden Abschlußkonzerten in der Berliner Mercedes-Benz-Arena Anfang Januar kommenden Jahres sind es noch knapp dreißig Auftritte. Vor Berlin kehren die Musiker für drei Abende an einen für sie denkwürdigen Ort zurück: ins Tivoli im sächsischen Freiberg, wo die Gruppe am 19. November 1969 ihren ersten Auftritt hatte. Peter Meyer (75, Keyboard), Dieter Birr (71, Gitarre, Gesang) und Dieter „Quaster“ Hertrampf (71, Gitarre, Gesang) waren schon damals dabei.

Ihre künstlerisch große Zeit hatten die Puhdys, als sie sich sowohl musikalisch als auch textlich mit anderen DDR-Bands messen mußten: Karat, Stern Combo Meißen, Lift, Hansi Biebl, Jürgen Kerth. Gruppen, die den sauertöpfischen SED-Staat ein wenig verändern wollten. An der Spitze stand Schweine-Renft, pardon, die Klaus-Renft-Combo, die vom „Geist der Kommune“ sang, davon, daß „Revolution das Morgen schon im Heute“ ist und „kein Thron für den Arsch zufriedner Leute“. Die dem genossenschaftlichen Eigentum in der Landwirtschaft ihr „Gänselieschen“ entgegensetzte.

Während nach dem endgültigen Renft-Verbot deren Nachfolgeband „Karussell“ mit Peter „Cäsar“ Gläser, die ebenfalls verbotenen Songs spielend, durch Studentenklubs tingelte, und diese Musiker immer entlang des Berufsverbots taumelten, öffneten die SED-Genossen den brav-linientreuen Puhdys die großen Bühnen. „Wir wollten nur Musik machen“, sagte Dieter Hertrampf später mit Blick auf Renft, „die wollten die Welt verändern“.

Ihren ersten Großauftritt hatten die Puhdys 1973 bei den 10. Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Ost-Berlin. Neun Jahre später standen sie bereits jenseits der Mauer, auf der Waldbühne in West-Berlin. Sie erhielten den Nationalpreis der DDR, Schallplattenverträge, Fernsehauftritte und spielten bei Auftritten im „kapitalistischen Ausland“ (DDR-Sprachgebrauch) nicht zu knapp Devisen ein. Der Staatsrundfunk dudelte ihr „Melanie“ hoch und runter.

Andererseits war ihr 1973 erschienenes englischsprachiges „Rock ‘n’ Roll“-Album mit seinen gecoverten Songs für alle wichtig, die keinen Zugang zu Westplatten hatten. Und Titel wie „Wenn ein Mensch lebt“ oder „Geh zu ihr“ – für den Defa-Kultfilm „Die Legende von Paul und Paula“ entstanden – verbinden bis heute Generationen von Menschen.

Daß sie sich vom SED-Regime vereinnahmen ließen, brachte den Puhdys die Verachtung der Szene ein. Sie galten als Staatsband, „City, Puhdys und Karat – der Stasi größte Greueltat“ war seinerzeit ein gängiges Spottwort. Er habe einmal zwei Puhdys-Söhne in Dresden getroffen und ihnen gesagt: „Grüßt eure Väter von mir und richtet ihnen aus, daß ich sie verachte“, gab der Blues-Musiker Jürgen Kerth, einer von denen, die zu DDR-Zeiten nie zu Kreuze gekrochen sind, unlängt in einem Interview zu Protokoll. Es sei für ihn eine Sache der Selbstachtung gewesen, nie gemeinsam mit den Puhdys aufzutreten.

Trotzdem sollten Neugierige durchaus die Chance nutzen, die „alt wie ein Baum“ gewordenen Altrocker und vor allem ihre Fan-Gemeinde live zu erleben. Es ist eine seltene Gelegenheit, in ein Stück gealterten DDR-Alltag einzutauchen – und einen ihrer bleibenden Songs wie „Jegliches hat seine Zeit“ im Ohr zu behalten. 

Auf den Geschmack gekommen, könnte man dann im Internet suchen, nach „Wandersmann“ beispielsweise oder „Zwischen Liebe und Zorn“. Denn auch die Überlebenden von Renft treten noch auf.

Foto: In jedem System obenauf: Die Puhdys kommen zum erstenmal groß raus bei den sozialistischen „Weltfestspielen der Jugend“ 1973 auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz (o.); heute: „alt wie ein Baum“ (kl. Bild)