© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

Offensive mit angezogener Handbremse
Asylkrise III: Die Unterstützung der Bundeswehr bei der Versorgung von Flüchtlingen fällt geringer aus als ursprünglich geplant
Christian Schreiber

Das Angebot von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, klang großzügig. 4.000 Soldaten hatte sie zur Bekämpfung der Flüchtlingskrise zugesagt, zudem sollten materielle und logistische Ressourcen der Armee genutzt werden. 

Mittlerweile ist daraus ein handfestes Politikum geworden. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), warnte dieser Tage vor einer Überforderung: „Die Kapazitäten sind endlich. Und es darf auch kein Dauerzustand werden“, sagte Bartels der Neuen Osnabrücker Zeitung. Der Umfang des Einsatzes wachse beinahe täglich weiter, vor allem durch das Zusammenrücken der Soldaten in vielen Kasernen, die nun mitgenutzt würden zur Erstaufnahme von Flüchtlingen. Für schnelle Hilfe hätten die meisten Soldaten großes Verständnis. „Sie wollen helfen. Aber sie wollen auch Konzepte sehen, wie es weitergeht“, erklärte der Wehrbeauftragte. Er warnt davor, die Armee „zum Spielball politischer Interessen zu machen“. Für die Armee sei es kein Problem, Zelte zur Verfügung zu stellen oder sonstige logistische Hilfe zu leisten. Es brauche aber klare An- und Absprachen. 

Dabei läuft der Einsatz derzeit eher schleppend. Lediglich 1.600 der bereitgestellten 4.000 Soldaten seien derzeit im Einsatz. „Es gibt nach wie vor Luft nach oben“, sagte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums dem Tagesspiegel. Von der Leyen hatte gesagt, Soldaten und Zivilpersonal der Streitkräfte könnten überall dort helfen, wo es nicht um polizeiliche oder hoheitliche Aufgaben gehe. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das für die Bearbeitung der Asylanträge zuständig ist, kann auf die Truppe zurückgreifen. Bis zu 800 Soldaten und Bundeswehrmitarbeiter waren dafür zunächst im Gespräch, doch nicht mehr als 530 konnten bisher vermittelt werden, die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam, heißt es aus dem Ministerium. Für Aufsehen sorgte am Wochenende ein Bericht der Welt, nach dem Offiziere im Rang von Leutnant bis Stabshauptmann derzeit vom Dienst für das BAMF kategorisch ausgeschlossen seien. Warum diese sich nicht daran beteiligen dürfen, die sich in der Behörde angesammelten rund 300.000 unterledigten Asylanträge abzuarbeiten, blieb zunächst unklar. Die bislang zum BAMF abgeordneten Unteroffiziere und Feldwebel können diese Aufgabe aufgrund ihres beamtenrechtlichen Status nicht wahrnehmen.

Auch andere Angebote werden bislang nicht ausgeschöpft. Von den 80 Bussen einschließlich Fahrer, die von der Bundeswehr für den Transport von Flüchtlingen bereitgestellt wurden, sind derzeit knapp die Hälfte im Einsatz.

Bisher hat die Bundeswehr Plätze für rund 29.000 Asylbewerber in festen Gebäuden, verteilt auf 71 Kasernen und Standortübungsplätzen, zur Verfügung gestellt. Hinzu kommen zahlreiche Zelte aus dem Bestand der Streitkräfte. Zudem hilft die Armee bei der medizinischen Untersuchung von Asylbewerbern und und der Verpflegung. Nach Angaben der Bundeswehr wurden bislang über 450.000 Essen ausgegeben. 

Rechtlich geregelt sind die Inlands-einsätze in Artikel 35 des Grundgesetzes (GG) sowie in den Paragraphen 4 bis 8 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG). Dessen Absatz 1 besagt: „Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.“ Das gilt auch für die Bundeswehr, die damit verpflichtet ist, alle Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden auf Anfrage im Rahmen verfügbarer Fähigkeiten und ohne Einschränkungen für den eigenen Auftrag zu unterstützen.

Die Bundesregierung diskutiert unterdessen über Maßnahmen, um die Zahl der Abschiebungen deutlich zu erhöhen. Dazu gehört auch die Idee, Transall-Maschinen für Abschiebungen zu nutzen, wenn nicht genügend Kapazitäten in zivilen Fliegern zur Verfügung stehen. Oppositionspolitiker forderten dagegen die Regierung auf, von dieser Idee Abstand zu nehmen. Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Grüne) mahnte, Abschiebungen fielen nicht in den Aufgabenbereich der Bundeswehr. „Die Militarisierung der Migrationspolitik ist nicht der richtige Weg“, sagte er der Westdeutschen Allgemeinen. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), äußerte sich ebenfalls skeptisch. „Prioritär müssen die zivilen Kapazitäten ausgeschöpft werden“, sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. „Die Frage, ob die Bundesländer bei Abschiebungen auch auf Ressourcen der Bundeswehr zurückgreifen sollen, muß vorab auf jeden Fall gemeinsam mit den Ländern gründlich geklärt werden.“

Einsätze an den Grenzen werden abgelehnt

In der Truppe stößt der Einsatz an der Flüchtlingsfront nicht überall auf ungeteilte Zustimmung. So wird vereinzelt berichtet, daß der reguläre Dienstbetrieb leide. Auch gibt es Zweifel an der rechtlichen Grundlage für den Einsatz. Generell darf die Armee keine hoheitlichen Aufgaben übernehmen, sondern lediglich Amtshilfe leisten. Dies bedeutet, daß die Bundeswehr beispielsweise der Polizei nur zuarbeiten kann, aber keine eigentlichen Polizeiaufgaben übernehmen darf. 

Der Chef des Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Hans-Werner Fritz, sprach sich daher dagegen aus, die Bundeswehr etwa zum Grenzschutz und zur Abschiebung von Flüchtlingen einzusetzen. „In der Vergangenheit haben wir die Aufgaben von Polizei und Bundeswehr immer strikt getrennt“, sagte Fritz der Bild-Zeitung und fügte hinzu: „Und ich bin sehr dafür, daß das so bleibt. Unser Auftrag ist klar definiert und durch das Grundgesetz aus gutem Grund begrenzt.“