© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

Blüm hatte nicht ganz unrecht
Geldanlage: Die gesetzliche Rentenversicherung bietet dank der Eurokrise vergleichsweise überraschende Renditen / Niedrigzins zerstört Privatvorsorge
Jörg Fischer

Im Bundestagswahlkampf 1986 versprachen Sozialminister Norbert Blüm und die CDU auf 15.000 Großplakaten: „Denn eins ist sicher: Die Rente.“ Das zahlte sich aus und sicherte Helmut Kohl die Kanzlerschaft. Bei den darauf folgenden Reformen der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) wurden zwar die abverlangten Zwangseinzahlungen erhöht und gleichzeitig die künftigen Rentenhöhen reduziert, doch mit dem Grundsatz, daß man mit GRV-Beiträgen mehr Rente bekommt als jemand, der nichts eingezahlt hat, wurde noch nicht vollständig gebrochen.

Künftige Renten in der Nähe des Hartz-IV-Niveaus

Erst in der Ära der rot-grünen Bundesregierung und mit den diversen Merkel-Reformen wurde die Axt an Bismarcks und Adenauers Jahrhundertwerk gelegt. Wer unterhalb des Durchschnittsverdienstes liegt und nicht bis 67 durcharbeiten kann, muß sich künftig mit einer Rente in der Nähe des Hartz-IV-Niveaus begnügen – trotz jahrzehntelanger Beitragszahlung. Dennoch bietet die GRV im Vergleich zu privaten Riester-Renten oder Kapitalversicherungen weiterhin überraschende Renditen. Und Blüms oft verhöhntes Versprechen hat sich im Prinzip erfüllt – das geht zumindest aus einer Analyse der Verzinsung für die Geburtsjahrgänge 1935 bis 1945 auf Basis realer Erwerbsbiographien hervor.

Obwohl die „Verzinsung“ der eingezahlten GRV-Beiträge „strenggenommen nicht mit der Verzinsung eines Sparguthabens oder einer Geldanlage zu vergleichen ist, kann eine Berechnung der Verzinsung der Rentenbeiträge durchaus aufschlußreiche Informationen über den gegenwärtigen Stand und die Zukunft des Rentenversicherungssystems geben“, schränkt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zwar ein. Die Altersrenten für ältere Jahrgänge fallen jedoch großzügiger aus als für jüngere. Dennoch liegen auch sie über der derzeitigen Verzinsung sicherer Kapitalanlangen: „Die Meßmethode des Internen Zinsfußes (IZF) ergibt, daß die reale Verzinsung für Altersrenten über die beobachteten Jahrgänge bei Männern von 2,4 auf 1,2 Prozent beziehungsweise bei Frauen von 5,2 auf 3,7 Prozent sinkt“, so das DIW. Für Erwerbsminderungsrentner liege die GRV-Verzinsung bei zirka fünf Prozent (Frauen) und drei Prozent (Männer).

Zu D-Mark-Zeiten boten beispielsweise Bundesanleihen eine höhere Verzinsung als GRV-Beiträge. Zudem konnten sie bezüglich ihres Ausfallrisikos als ähnlich sicher wie die GRV betrachtet werden. Seit der Finanz- und Eurokrise und der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) geraten Privatrenten immer mehr ins Hintertreffen: „In den letzten Jahren haben sich die Renditen der Bundesanleihen und der IFZ aber weitgehend angeglichen, so daß momentan nicht von einer vorteilhaften Anlageform gesprochen werden kann. Zusätzlich bietet das Umlageverfahren der Rentenversicherung auch Schutz vor Zinsschwankungen am Kapitalmarkt und kann somit als stabiler bezeichnet werden“, erläutert das DIW.

Zudem versichere die GRV gegen Erwerbsminderung, Langlebigkeit und versorge mit Witwen- und Waisenrente auch Hinterbliebene. Die GRV zahle „bis zum Lebensende, wenn andere Anlageformen ohne Versicherungsfunktion schon verbraucht sind“. Im Zuge des demographischen Wandels – weniger Beitragszahler, mehr Rentner – und wegen weiterer Rentenreformen sei aber davon auszugehen, daß der Trend hin zu sinkenden GRV-Renditen anhalte. Sich statt dessen auf die Angebote der Finanzindustrie zu verlassen, ist mehr als riskant.

Die steigende Lebenserwartung trifft Private wie GRV gleichermaßen. Wer sich zu D-Mark-Zeiten noch einen Garantiezins von vier Prozent für seine private Renten- und Lebensversicherung sicherte, wird sich trotz der exorbitanten Provisionen und Kosten im Alter vielleicht noch über eine positive Rendite freuen können. Wer heute bei Riester & Co. unterschreibt, muß damit leben, daß der ohnehin fragwürdige Garantiezins inzwischen obsolet ist.

Altersvorsorgefonds stände unter politischer Willkür

Daß durch die entfallenen Garantien nun die „Renditechancen der Anleger“ erhöht würden, ist ein bloßes Werbeversprechen. Der langjährige Herausgeber der Wirtschaftswoche, Wolfram Engels, prophezeite so lange vor der Euro-Einführung: „Unser Geld ist so unzuverlässig geworden, daß kein Mensch, der seine fünf Sinne beisammen hat, seine Altersvorsorge auf Geldvermögen bauen würde.“

Neben der staatlichen gibt es nämlich auch eine hohe Banken- und Unternehmensverschuldung. Können Zins und Tilgung nicht mehr bezahlt werden, ist Insolvenz nur ein möglicher Ausweg. Die „milde“ Form der Entschuldung – die finanzielle Repression durch Inflation oder Niedrigzins – trifft Privatversicherte allerdings mit voller Härte.

Der frühere Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, Herbert Rische, schlug als Ausweg aus diesem Dilemma freiwillige GRV-Zusatzbeiträge vor. Doch das ist zum einen politisch nicht erwünscht – die konkurrierende Finanzindustrie leistet schließlich die generösesten Parteispenden. Zum anderen würden in einem Umlagesystem wie der GRV nur politisch disponible sozialrechtliche Rentenansprüche aufgebaut. Und zunächst würden nur die aktuellen Alters- und Erwerbsminderungsrentner davon profitieren. Würden die Zusatzbeiträge hingegen als Kapital angelegt, wären zwar die Verwaltungskosten geringer als bei der privaten Konkurrenz und Aktionärsausschüttungen entfielen – doch die finanzielle Repression träfe auch einen GRV-Altersvorsorgefonds. Zudem wäre dieser vor politischer Willkür nicht gefeit, wie die Eurorettungsmaßnahmen in Spanien oder Griechenland bewiesen.

Auch der Ruf nach dem Steuerzahler, wie er von Ökonomen und Politikern gern artikuliert wird, wenn sie nicht weiterwissen, hilft nur begrenzt: Der Bundeszuschuß für die GRV ist von zirka 20 Prozent im Jahr 1960 auf inzwischen aktuell 30 Prozent (über 80 Milliarden Euro jährlich) gestiegen. Dies ist der GRV-Ausgabenanteil, der nicht durch Beiträge gedeckt ist. Hiervon werden zum Beispiel Kindererziehungszeiten oder Bergmannsrenten finanziert. Mit gut drei Milliarden Euro jährlich – Steuerverzicht und GRV-Verluste nicht mitgerechnet – subventionieren die Steuerzahler die Riester-Rente, die für Kinderlose aus Versichertensicht schon heute ein reines Verlustgeschäft ist.

Das DIW konstatiert: Trotz aller Probleme sei die GRV „nicht als schlechtes Geschäft anzusehen, da Risiken wie Langlebigkeit und Erwerbsminderung einer Versicherung bedürfen, die verläßlich ausschüttet“. Bleibt zu ergänzen: Derzeit ist schon der bloße Kaufkrafterhalt des Ersparten eine große Herausforderung. Aktien, Immobilien, Dollar oder Franken – die Alternativen erscheinen langfristig sicherer als Euro-Anlagen, sie sind aber längst überteuert.

Physisches Gold ist zwar auch teurer als vor Beginn der Finanzkrise, aber angesichts der unausweichlichen finanziellen Repression sollte Edelmetall Teil jeder Anlagestrategie sein. Für Freiberufler, die kurz vor dem Ruhestand stehen und damit rechnen, noch mindestens 19 Jahre zu leben, kann auch eine freiwillige GRV-Einmalzahlung eine Option sein: Für die Maximalsumme von 67.881 Euro wird eine anfängliche Monatsrente von 296,75 Euro garantiert. Hinzu kommen 21,66 Euro als Zuschuß zur Krankenversicherung – da kann kein privater Anbieter mithalten. Die Möglichkeit für 318,41 Euro GRV-Zusatzrente endet allerdings Ende dieses Jahres – und das ist auch sicher.

Die Studie „Die Verzinsung von Rentenbeiträgen“ im DIW Wochenbericht 37/15

 www.diw.de