© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

Jeden Flüchtling auf Mark und Pfennig abgerechnet
Die Bundesrepublik hat in den fünfziger Jahren die Kosten für die in Dänemark aufgenommenen Ostpreußen beglichen
Matthias Bath

Nur 14 Tage nach der am 12. Januar 1945 beginnenden sowjetischen Winteroffensive erreichte die Rote Armee das Frische Haff. Damit war Ostpreußen vom übrigen Reichsgebiet abgeschnitten. Die Bevölkerung Ostpreußens, der bis dahin die Flucht nach Westen durch die Gauleitung verboten worden war, konnte fortan nur mehr über die Ostsee evakuiert werden. Selbst den Flüchtlingen, die es über die Frische Nehrung weiter bis nach Danzig geschafft hatten, stand seit Februar auch nur noch dieser Weg offen. 

Seit Ende Januar konnte die Kriegsmarine mit einem großangelegten Manöver in den kommenden Monaten Massen von Flüchtlingen in den Westen transportieren. Die kriegszerstörten deutschen Ostseehäfen waren aber schon nach wenigen Tagen nicht mehr in der Lage, die Masse der angelandeten Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen. Angesichts dessen ordnete die deutsche Führung am 4. Februar 1945 an, diese Transporte auch nach Dänemark zu leiten. Es wird geschätzt, daß bis Kriegsende etwa 500.000 der aus den deutschen Ostgebieten Evakuierten nach Dänemark kamen. 

Nicht alle von ihnen blieben dort für längere Zeit, viele wurden rasch nach Deutschland weitertransportiert. Bei Kriegsende befanden sich in Dänemark aber noch 245.000 deutsche Flüchtlinge in 1.100 Behelfsunterkünften. Das entsprach etwa 6,5 Prozent der damaligen Gesamtbevölkerung Dänemarks. Die dänischen Behörden waren natürlich daran interessiert, diese „ungebetenen Gäste“ schnellstmöglich nach Deutschland abzuschieben, mußten aber noch im Mai 1945 von den Alliierten erfahren, die Flüchtlinge könnten angesichts der Verhältnisse in Deutschland nicht sofort dorthin ausgewiesen werden.

Ab Juni 1945 erfolgte daraufhin die Räumung der bisherigen Behelfsquartiere und die Zusammenfassung der Flüchtlinge in 142 größeren, geschlossenen Flüchtlingslagern, die von bewaffnetem Polizeipersonal bewacht wurden und von den Flüchtlingen nicht verlassen werden durften. Als Gelände für die Lager griff man häufig auf bisherige Militärflugplätze zurück, die über die notwendige Fläche verfügten, erschlossen und bereits umzäunt waren und über Verwaltungs- und Versorgungsgebäude verfügten, so daß man nur noch Baracken für die Flüchtlinge errichten muße. Das größte dieser Lager hatte 37.000 Insassen und lag bei Oksbøl an der jütländischen Westküste.

Seit September 1945 war die neugeschaffene Behörde der dänischen Flüchtlingsverwaltung unter dem früheren Sozialminister Johannes Kjærbøl (1885–1973) für die Verwaltung der Lager zuständig. Mit Hilfe entsprechender Fachleute unter den ostdeutschen Flüchtlingen organisierte sie die innere Verwaltung der Lager bis hin zur Gesundheitsversorgung und dem Schulwesen für die Flüchtlingskinder sowie kirchlichen und kulturellen Aktivitäten.

Ab Herbst 1946 begann die Repatriierung der Flüchtlinge, die größtenteils in die Westzonen ausreisten. Die Sowjets erklärten sich 1947 lediglich zur Übernahme von 36.000 Flüchtlingen in ihre Zone bereit. Das waren knapp 15 Prozent der geflohenen Ostdeutschen. Der letzte deutsche Flüchtling verließ Dänemark am 15. Februar 1949.

Im Zuge ihrer Abwicklung berechnete die Flüchtlingsverwaltung die Kosten, die Dänemark durch die deutschen Flüchtlinge entstanden waren, und kam auf rechnungsmäßig belegte 428 Millionen Kronen (nach heutigem Geld etwa 1,15 Milliarden Euro) an Ausgaben für den Ankauf von Baracken, Verpflegung, Bekleidung, Schuhen, Arzneimitteln usw. Dieser Betrag wurde in dem 1950 von der Flüchtlingsverwaltung herausgegebenen Graubuch „Flüchtlinge in Dänemark 1945–1949“ mitgeteilt. Die Bundesrepublik erklärte sich daraufhin bereit, anteilig in diese Verbindlichkeit des Deutschen Reiches einzutreten.

Zahlungen für Flüchtlinge vorfristig zurückgezahlt

Auf der Londoner Schuldenkonferenz von 1952 wurden schließlich die sich aus dem Krieg ergebenden Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland geregelt. Die dänische Delegation unter Leitung von  Kjærbøl hätte hier gerne einen größeren Anteil an den 428 Millionen für Dänemark zurückerlangt, sah sich daran aber von den Alliierten gehindert, die unter Hinweis auf die Belastungen der jungen Bundesrepublik nicht zuließen, daß diese mehr als 160 Millionen Kronen (rund 429,5 Millionen Euro) an Dänemark zahlte.

Die Verhandlungen führten schließlich zu einem „Abkommen zwischen der Bunderepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über die Erstattung der Aufwendungen in Verbindung mit dem Aufenthalt deutscher Flüchtlinge in Dänemark von 1945 bis 1949“. Dieses Abkommen wurde am 26. Februar 1953 in London unterzeichnet. Danach sollte die Bundesrepublik den Betrag von 160 Millionen Kronen in zwanzigjährlichen Tilgungsraten von je acht Millionen Kronen beginnend mit dem 1. September 1953 an Dänemark zahlen. Die Bundesrepublik Deutschland hat diese Verpflichtung mit der Zahlung einer letzten Rate schon am 1. September 1958 vorfristig erfüllt.

Die DDR, auf deren Gebiet immerhin etwa 15 Prozent der Flüchtlinge Aufnahme gefunden hatten, reagierte demgegenüber nicht auf dänische Aufforderungen zu Verhandlungen über einen anteiligen Ausgleich der für die auf ihrem Gebiet aufgenommenen Flüchtlinge entstandenen Kosten und tat dies auch nach ihrer internationalen Anerkennung in den siebziger Jahren nicht.