© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/15 / 06. November 2015

„Geh doch zu den Grünen“
CDU: Auf der letzten Regionalkonferenz in Darmstadt läßt die Parteiführung Kritik an der Kanzlerin nur wohldosiert zu
Hinrich Rohbohm

Die Kritik ist klar formuliert und sie ist an Angela Merkel gerichtet. „Wenn das so weitergeht, wird das Kreise ziehen, die wir nicht mehr beherrschen können“, redet sich ein Herr Burger seinen Frust von der Seele. Er steht an einem der Saalmikrofone des Darmstadtiums, dem Veranstaltungsort der letzten von vier CDU-Zukunftskonferenzen. Er warnt: „Wir vertreiben unsere Stammwähler, die Leute sind stinksauer.“ Doch der Mann erntet größtenteils höhnisches Gelächter. Es geht um Merkels Asylpolitik. Auch in Darmstadt ist es am Montag das Topthema, das die aus Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland geladenen Christdemokraten bewegt.

Die Kanzlerin erhält auch hier großen Rückhalt. „Diese CDU steht hinter Angela Merkel wie eine Eins“, unterstreicht der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier. Starker Beifall. Den hatte Merkel auch auf den Konferenzen in Wuppertal und Stade erhalten. Lediglich im sächsischen Schkeuditz war die Kritik größer. In Darmstadt sind Kritiker in der Minderheit, doch sie werden lauter.

In Flüchtlingsheimen komme es immer wieder zu Schlägereien, aber die Polizei halte diese Vorgänge von der Öffentlichkeit fern. „Warum wird das alles verschwiegen?“ fragt Herr Burger weiter.  „Die Polizei berichtet über alles, wir sollten nicht eine These aufstellen, die nicht zutrifft“, weist ihn Bouffier zurecht.

Doch auch andere kritisieren Merkels Kurs der offenen Grenzen. „Wir werden von den Immigranten überrollt“, befürchtet einer. Ein Arzt spricht von „massenhafter unkontrollierter Revolution“, will Wirtschaftsflüchtlinge wieder nach Hause schicken. Eine Kommunalpolitikerin aus Mannheim, die der CDU seit 30 Jahren angehört, legt nach. „Frau Bundeskanzlerin, Ihr ‘Wir schaffen das’ kann so nicht stehenbleiben. Ich habe bei uns vor Ort noch nie so eine Wut erlebt.“ Ein anderer Parteifreund legt nach: „Ihr Satz, es gebe keine Grenzen, war fatal und falsch.“

Applaus für Kritik an der SPD

Beifall gibt es für solche Aussagen wenig. Nur in den hinteren Reihen klatschen einige. Die ganz vorn sitzenden Funktionäre begegnen der Kritik mit eisigem Schweigen. Nur die Rede der Kanzlerin bringt Feuer in ihre Glieder. Sie sind die ersten, die sich danach laut klatschend von den Plätzen erheben.  Dann stehen auch jene Karrieristen auf, die abzuwarten pflegen, um sich der jeweils geltenden Stimmung anzuschließen. Zuletzt folgen einige verunsicherte Kritiker, zollen Merkel leise und zögerlich Beifall.

Einige wenige jedoch bleiben mit verschränkten Armen demonstrativ sitzen, bekunden so ihren Unmut über die Regierungschefin, die gegenüber der CSU mit ihrem Ja zu Transitzonen erfolgreich die Reihen in der Union wieder zu schließen versucht. Daß die Transitzonen sich aufgrund der ablehnenden Haltung der SPD nicht so durchsetzen lassen, wie es sich die Union vorstellt und auch nur für einen Bruchteil der Asylbewerber gelten dürften, stört nur wenige CDUler an diesem Abend.

„Es ist doch nicht das erste Mal, daßwir die SPD von unseren besseren Ideen überzeugen müssen“, sagt Merkel dazu und erntet Jubel. „Mein Bekannter hat in Thüringen den Bodo Ramelow gewählt. Aber jetzt sagt er über unsere Bundeskanzlerin: ‘Ich bin begeistert von dieser Frau’“, freut sich Gabriele Müller aus Rheinland-Pfalz. „Stacheldrahtzäune halten Flüchtlinge nicht auf“, wiederholt Christian Bäumler aus Konstanz die Worte der Kanzlerin. „Doch“, hallt es zaghaft von einigen aus den hinteren Reihen zurück.

Claudia Pooth aus Hessen hingegen löst mit ihrer speziellen Forderung nach einer Begrüßungskultur für Flüchtlingskinder selbst unter eingefleischten Merkel-Fans Unmut aus. „Viele Kinder haben auf der Flucht ihr Schnuffeltuch verloren, wir sollten ihnen Kuschelsterne schenken.“ Als sie dann zu erklären versucht, warum auf den Kuschelsachen ein EU-Stern und kein Bundesadler zu sehen sein sollte, platzt enigen der Kragen. „Wer soll denn das bezahlen?“ fragte jemand. Andere werden drastischer. „Geh doch zu den Grünen“, ist zu hören. Eine Aufforderung, die sich die Kanzlerin in ihrer Partei vorerst noch nicht anhören muß.