© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/15 / 06. November 2015

Dorn im Auge
Christian Dorn

Wir sind Ausländer, wir dürfen alles!“ Mit dieser triumphierend hingerotzten Kampfansage verlassen drei halbstarke Tussis mit Migrationshintergrund den S-Bahn-Wagen an der Station Jungfernheide. Zuvor hatte die Anführerin der drei den ganzen Wagen mit dem Gangsta-Rap von ihrem Smartphone terrorisiert. Doch zu deutlichen Worten, die letztlich Grenzen setzen, sind die Fahrgäste des vollbesetzten Zuges nicht mehr fähig. Ein gehemmtes Volk, das augenscheinlich seiner Sprache beraubt ist – und sich zurückhält: Eine unbedachte Replik gegen das respektlose Benehmen der auf Provokation gebürsteten Mihigru-Girls könnte ja unversehens als fremdenfeindliche Aktion oder gar als Volksverhetzung geahndet werden. Traurig, aber wahr: Die Zähmung der drei Mädchen, denke ich, wird erst durch den Hidschab erfolgen.


Der Achtziger-Jahre-Spruch „Liebe Ausländer, laßt uns mit den Deutschen nicht allein“ bekommt heute eine ganz neue Bedeutung, jedenfalls beim Auftritt von Idil Baydar (www.idilbaydar.de). Deren Programm „Deutschland, wir müssen reden!“ ist die wohl respekt- wie schonungsloseste Auseinandersetzung mit beiden Gesellschaften: der „bio-deutschen“, der die Vitalität abhanden gekommen ist, und jener der arabischen und türkischen Communities, deren Stereotype Baydar in drastischer Darstellung überspitzt, um den „Kampf der Kulturen“ zur Kenntlichkeit zu entstellen. Baydar bedient sich zweier von ihr kreierten Figuren: der Türkin Jilet Ayse und der Rentnerin Gerda Rischke, die beide gefangen sind von Schuldkomplexen: Während die türkischen Mütter ihre Töchter durch Schuldgefühle im Griff haben, sollen diese nun auch noch die „Bringschuld“ der Integration leisten: die deutsche Schuld mittragen.


Nur Ayse, scheint es, hat Sarrazin verstanden. Als sie im Apothekerheft auf einer Doppelseite die Überschrift „Deutschland stirbt aus“ liest, ergreift sie Panik – und fragt das Publikum: „Wo bleibt euer Aufstand? Todesangst befällt sie bei der Vorstellung, daß alle „Kartoffeln“ ausgestorben sind: „Wer zahlt mein Hartz IV?“ Für Ayse ist es klar: „Wir können keine Grammatik, aber ihr könnt keine Vermehrung.“ Eine zufällige Frage ins Publikum bringt es auf den Punkt: „Darf ich Sie fragen, haben Sie Kinder?“ – „Nein.“ – „Seht ihr, das ist das Problem.“ Doch schließlich legt Ayse – oder ist es doch Baydar – ein Bekenntnis ab: „Ein Kanake zu sein ist so schwer – das immer zu spielen.“ Denn: „Deutsche, wir schreien euch nur an, weil wir euch lieben.“