© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/15 / 06. November 2015

Der Klub der toten Priester
Kino I: „El Club“ von Regisseur Pablo Larraín ist ein Meisterwerk der chilenischen Filmkunst
Sebastian Hennig

Große Filmproduktionen sind häufig viel zu hektisch, um wirklich lebhaft zu sein. Meist entsteht, was entstehen soll, ein kalkulierbares und kalkulierendes Werkstück. Der chilenische Regisseur Pablo Larraín verfaßte mit zwei Co-Autoren innerhalb von nur drei Wochen das Drehbuch zu „El Club“. Die Dreharbeiten nahmen dann weitere drei Wochen in Anspruch.

Der fertige Film besitzt die Anmut einer inspirierten Arbeit, deren Ergebnis gleichwohl in keinem Augenblick improvisiert wirkt. Es ist die intuitive Professionalität der cineastischen Genies, die Pablo Larraín so beschreibt: „Die Idee war, alles in eine Form von Gegenwart, von Unmittelbarkeit zu versetzen, einen Raum zu schaffen, in dem die Schauspieler ihre eigene Dynamik entwickeln konnten. Das ist aber nicht zu verwechseln mit Improvisation. Das Drehbuch war sehr lang und ausführlich, voller Details, und die Schauspieler hatten die Dialoge – aber sie wußten nie genau, wer genau die anderen Figuren waren, in welche Richtung sie sich entwickeln würden und welche Rolle sie dabei zu spielen hätten.“

Entstanden ist ein episch-dramatischer Film und damit das ganze Gegenteil des Schauspieler-Kinos von Hollywood, wo Stars Drehbücher studieren, um dann mit ihrem Agenten zu entscheiden, nicht etwa, ob sie die ihnen zugedachte Rolle gestalten können, sondern ob sie zu ihrem Image paßt. Nur Regie-Titanen wie Terrence Malick oder Quentin Tarantino gelingt es gelegentlich, diese sterile Stilisierung des Selbst aufzubrechen. Autoren-Kino dagegen bedeutet, daß der Autor über die Schauspieler im Sinne seiner bewegten Bilder verfügt wie der Maler über seine Palette. Das hat mit Willkür nichts zu tun, denn es gehört zum Genie, den Rohstoff zu erschließen und in einer Figur zu veredeln. Durch die verzerrende Kameraoptik, wie sie den klassischen Farbfilmen russischer Produktion eignet, bekommt „El Club“ eine besondere Atmosphäre. Das ist nicht Nostalgie, sondern ästhetische Notwendigkeit.

Handlungsort des Filmgeschehens ist ein Rückzugsort für straffällig gewordene Priester. Die Kirchenhierarchie hat die Männer, die wohl überwiegend durch ihre homosexuellen Neigungen der Ächtung verfallen sind, aus dem Verkehr gezogen. Ihre ärmliche Wohngemeinschaft wird von der energischen Schwester Mónica (Antonia Zegers) dirigiert. Sie dient und herrscht zugleich. Die Freuden der Askese bleiben ihnen verwehrt. Ihre Weltabgeschiedenheit ist nicht Versenkung, sondern eine Buße.

Dabei gibt es durchaus eine Form der Kollaboration der Wärterin mit ihren Häftlingen, die sich im Guten und zuletzt auch im Bösen bewähren muß. Unter ihrer Leitung nehmen die Männer an Hunderennen teil und gewinnen letztlich ein beträchtliches Preisgeld. Mónica wacht streng darüber, daß die weltlichen Triumphe nicht überhandnehmen, verteidigt die harmlosen Freuden aber auch: „Es ist nötig, Gebet und ein wenig Entspannung.“ Es ist die alte Kirche, die in ihrer Wirkung so loyal wie dezentral wirkte und den Gläubigen nichts Übermenschliches abverlangte.

Doch das ändert sich, als die Diskretion des Ortes durch einen Störenfried verletzt wird. Öffentlicher Unflat und zuletzt eine Bluttat erschüttern die Lebensgemeinschaft. Zugleich mit dem aufwühlenden Ereignis erscheint ein Gesandter der Kirche, der das Haus und seine Insassen überprüfen soll. Mit herzloser Kälte arbeitet der Funktionär auf die Auflösung der Gemeinschaft hin, wozu er vom Vatikan bevollmächtigt ist. Padre Vidal (Alfredo Castro) erscheint wie ein schwarzer Engel, verführerisch und vernichtend. „Sie sind einer dieser neuen Priester“, stellt ein Insasse resigniert fest. Ein anderer fragt den Kirchenfunktionär verachtungsvoll: „Seit wann haben Sie keine echte Gemeinde mehr mit Menschen, die leiden?“

Schwester Mónica verteidigt das Leben im Haus. Sie erkennt die mitgebrachten Spielregeln und droht: „Wenn Sie mich hier rausschmeißen, rufe ich beim Fernsehen an.“ Es ist eine große Leistung des Films, daß in diesem Ringen zum Schluß kein Sieger dasteht.

„El Club“ ist ein düsterer Film, aber er entläßt den Zuschauer nicht niedergedrückt, sondern gestärkt. Der Aufgabe des Dramas, den Erscheinungen der Grausamkeit des Lebens und der Menschen eine Form zu geben, nicht sie zu erklären – das wäre Hochmut und Anmaßung –, wird dieser Film gerecht.