© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/15 / 06. November 2015

Der Unwiderstehliche
Kino II: Dem neuen James-Bond-Film „Spectre“ fehlt die Komplexität
Wolfgang Paul

Hohe Erwartungen begleiteten „Spectre“, den 24. Bond-Film, bevor er in die Kinos kam. War doch „Skyfall“ vor drei Jahren bei den Kritikern wie beim Kinopublikum mit einem weltweiten Einspielergebnis von über einer Milliarde Dollar ein überragender Erfolg gewesen. Nun also wieder ein Abenteuer mit dem allseits geschätzten Daniel Craig als 007. Mit demselben Regisseur und denselben Autoren – jedenfalls auf den ersten Blick eine verheißungsvolle Konstellation für den Fortgang der Serie, die von immer neuen Sensationsversprechungen lebt. Doch „Spectre“ ist, zumindest was die Figuren und den Ablauf der Handlung betrifft, wieder konventioneller geraten, näher dran am klassischen Bond-Konzept.

M ist nach dem langen Zwischenspiel mit Judi Dench wieder ein Mann, perfekt gespielt von Ralph Fiennes, und Bonds Gegner ist der gewohnt zynische Bösewicht, für dessen Verkörperung sich Christoph Waltz durch seine oscarprämierten Auftritte bei Quentin Tarantino qualifiziert hat.

Der Österreicher Oberhauser, den Waltz spielt, ist der Anführer der Terroristen-Organisation Spectre und eine zwielichtige Figur aus Bonds Vergangenheit. Mit seinem Gesicht im Schatten gibt er seinen Gefolgsleuten unerkannt Anweisungen wie einst Dr. Mabuse. Regisseur Sam Mendes läßt Waltz im übrigen nur sehr gebremst agieren. Als müßte sich der Zuschauer seine früheren Rollen dazudenken, um seine Gefährlichkeit zu ermessen.

Gefahren spielerisch darzustellen gehörte schon immer zum Markenzeichen eines Bond-Films. In dieser Hinsicht ist der Beginn von „Spectre“ wieder ein Musterbeispiel für den Einfallsreichtum, mit dem hier gearbeitet wird. In Mexiko-Stadt feiert man den „Tag der Toten“ mit Totenkopfmasken und einem karnevalesken Umzug. Die Kamera verfolgt den maskierten Bond, wie er mit einer hübschen jungen Frau auf ein Zimmer geht, seine Maske abnimmt, die Dame verläßt, um ein paar Männer im gegenüberliegenden Haus zu erschießen. Dabei kracht das ganze schöne Gebäude zusammen. Der Hauptschurke springt in einen herbeifliegenden Hubschrauber, Bond hinterher, und über einer entsetzten Menschenmenge entwickelt sich ein Kampf auf Leben und Tod im wild herumfliegenden Helikopter.

Bei dieser Aktion, die vom MI6 nicht autorisiert wurde, macht Bond die schöne Lucia zur Witwe. Monica Bellucci gibt sie mit vollem Körpereinsatz und erarbeitet sich dabei das Prädikat „ältestes Bond-Girl aller Zeiten“. Es bleibt allerdings bei dem kurzen Auftritt in der Rom-Sequenz – die Fans der Italienerin dürften enttäuscht sein. Naomie Harris, die Eve Moneypenny schon in „Skyfall“, ist jetzt keine den Helden anhimmelnde Vorzimmerdame, sondern eine helfende Hand, wenn es um Nachforschungen geht. Dazu darf sie das Büro auch verlassen.

In der Rolle der zweiten Bond-Gefährtin ist die junge Léa Seydoux zu sehen. Eine aparte Schönheit mit einem etwas brutalen Zug im Gesicht. Ihre Madeleine Swann (der Name ist eine Verbeugung vor Marcel Proust) gehört zu den Amazonen, die zum Mitkämpfen bereit sind. Sie hält den Unwiderstehlichen zunächst auf Distanz, wird aber nach einer gemeinsam überstandenen Bedrohung schließlich doch schwach. Und bei Bonds Befreiung aus dem Folterstuhl, der ausschaut, als sei er aus „Uhrwerk Orange“ importiert und etwas umgebaut worden, spielt sie eine wichtige Rolle. Wenn sie nach der vielen Aufregung ihren neuen Liebhaber von seinem gefährlichen Job abbringen will, entspricht sie wiederum dem Bild der traditionellen Frau, die um ihren Mann besorgt ist.

Bei all seinem Retro-Charme geht der Film auch auf aktuelle Ängste ein. Das gehört zum Bond-Konzept. War es früher der Kalte Krieg, der in einen heißen und somit in den Weltuntergang überzugehen drohte, so ist es heute die grenzenlose Überwachung, die den Menschen Furcht einjagt. Die Organisation Spectre bedroht die Welt mit einem ungeheuren Überwachungsapparat, und die staatliche Sicherheitsbehörde steht ihr nicht nach.

An Ausstattung und Aufwand wurde erneut nicht gespart. Craig bekam eine Sonderanfertigung von Aston Martin. Der britische Sportwagen jagt durch Roms alte Gassen und am Tiber-Ufer entlang, verfolgt von einem Ferrari. Bei einem heftigen Kampf werden Salonwagen eines Luxuszuges in Marokko zerlegt. Regisseur Mendes und sein neuer Kameramann Hoyte van Hoytema vermeiden es zudem, die immer gleichen Ansichtskarten-Bilder zu liefern. Statt den Palast of Westminster zeigen sie in London das moderne Themse-Ufer, wie man es zuvor nicht gesehen hat. Der Schauwert von „Spectre“ ist also hoch, aber dem Film fehlt die Komplexität seines Vorgängers.

 Kinostart: 5. November 2015