© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Die Erinnerung steht auf der Kippe
Geschichtspolitik: Mit dem Amtsverzicht des neugewählten Direktors der Vertriebenenstiftung verschärft sich die Krise der geplanten Gedenkstätte
Gernot Facius

Vorhang auf zum nächsten Akt im Trauerspiel um die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“: Der im Juni gewählte Direktor, der Düsseldorfer Historiker Winfrid Halder (JF 29/15), tritt sein Amt nicht an – „aus persönlichen Gründen“. Interimistisch ist der Chef der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Uwe Neumärker, mit der Leitung beauftragt. 

Wieder einmal steht das Projekt,  zumindest inhaltlich, auf der Kippe. Halders Gegner, die bereits dem Ende 2014 zurückgetretenen Gründungsdirektor Manfred Kittel das Leben schwergemacht hatten, triumphieren. Nun liege die Zukunft der Stiftung wieder allein bei der Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), erklärte der Zeithistoriker Krzysztof Ruchniewicz (Breslau), der bislang dem Wissenschaftlichen Beirat angehörte. Im Klartext: Grütters soll tunlichst einen Kandidaten präsentieren, der zu den geschichtspolitischen Vorstellungen des Expertengremiums paßt: „Internationalisierung“ des „sichtbaren Zeichens“ im Deutschlandhaus am Anhalter Bahnhof in Berlin statt Fokussierung auf die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten und Südosten – bei Zurückdrängung des Bundes der Vertriebenen (BdV), auf dessen Initiative die Stiftung zurückgeht. Vordringlich sei die Berufung eines internationalen wissenschaftlichen Beraterkreises durch den Stiftungsrat, forderte Ruchniewicz. Es habe sich gezeigt, daß die wissenschaftliche Expertise bei diesem Projekt „wichtig und enorm vertrauensbildend für die gesellschaftliche Akzeptanz ist“.  

Was niemand bestreiten wird. Denn die Satzung schreibt vor, daß Wissenschaftler den Stiftungsrat „in fachlichen Fragen“ beraten. Doch nirgendwo ist davon die Rede, daß diese Experten ein Mitwirkungsrecht bei Personalentscheidungen haben. Sie versuchen nun auf andere Weise, Personalpolitik zu betreiben, indem sie ihr Netzwerk, zu dem auch der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) gehört, gegen die BdV-Vertreter mobilisieren. 

Auf dem Sudetendeutschen Tag 2015 hatte Kittel davor gewarnt, „daß sich das Ganze in die Beliebigkeit eines manchmal modisch-undifferenzierten Migrationsdiskurses auflöst, wo der Unrechtscharakter der Vertreibung allzu leicht relativiert wird“.

Die Gefahr ist akut. Die geplatzte Personalie Halder biete die Chance, die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ breiter gesellschaftlich zu verankern, gab die Welt Stimmen aus dem Beraterzirkel wieder: „Zumal unter dem Eindruck einer neuen Flüchtlingswanderung wäre jetzt die Gelegenheit, einen breiten Konsens der Demokraten von den Grünen bis zur Union herbeizuführen. Dann hätte auch der jetzige ‘GAU’ um den Direktorenposten sein Gutes.“ 

Verweis auf aktuelle Flüchtlingswanderung

Der Spiegel, mit den Kritikern von Kittel und Halder auf einer Wellenlänge, hat schon vor Wochen geschrieben, es sei doch absehbar, daß mit wachsender zeitlicher Distanz das Interesse am Schicksal etwa der Schlesier oder Pommern weiter schwinden werde, zumal inzwischen jeder fünfte in Deutschland einen „Migrationshintergrund“ habe: „Da liegt Ostsyrien näher als Ostpreußen. Eine Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit bietet der Stiftung eine Chance, nachhaltig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“ 

Grütters steht nun vor der Wahl: Hört sie auf Professoren, die angesichts der neuen „Völkerwanderung“ das Gedenken an die Vertreibung von mehr als 14 Millionen Deutschen im Sinne einer Politischen Korrektheit relativieren möchten, oder widersteht sie solchen Einflüsterungen? Gibt sie nach, verliert das Projekt weiter an Bedeutung. Zumal sich die Eröffnung des „sichtbaren Zeichens“ immer weiter hinzieht. „70 Jahre nach Flucht und Vertreibung erwarten die deutschen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, daß die historische Aufarbeitung ihres Schicksals endlich auch sichtbar wird“, gab BdV-Präsident Bernd Fabritius Mitte des Jahres zu Protokoll. 

Die jüngsten Querelen um die Vertriebenenstiftung weisen eher in eine andere Richtung. Es  gehört nicht viel Phantasie dazu, vorauszusagen, daß der nächste Akt in diesem Berliner Trauerspiel nicht lange auf sich warten läßt.