© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Mitleid mit „Corelli“
Marcus Schmidt

Am Ende hatte Jerzy Montag fast schon Mitleid mit Thomas Richter. „Ich hätte ihn gerne gefragt, wie er das ausgehalten  hat“, sagte der frühere Bundestagsabgeordnete. Doch der Grünen-Politiker kann Thomas Richter nicht mehr fragen, wie er zwanzig Jahre lang aus Überzeugung in der rechtsextremistischen Szene aktiv sein und gleichzeitig unablässig Informationen an das Bundesamt für Verfassungsschutz liefern konnte. Denn der V-Mann Thomas Richter, der in der Öffentlichkeit unter seinem Decknamen „Corelli“ bekannt geworden ist, starb 2014 im Alter von 38 Jahren. Der plötzliche Tod der einstigen „Topquelle“, die zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschaltet war und unter einer neuen Identität unter Aufsicht des Verfassungsschutzes in Paderborn lebte, sorgte für Schlagzeilen. Denn „Corelli“ hatte möglicherweise Verbindungen zum NSU. Sollte hier ein unbequemer Zeuge aus dem Weg geräumt werden, bevor er sein Wissen über die mutmaßliche Mordserie von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe der Öffentlichkeit preisgeben konnte?

Um diese und andere Fragen aufzuklären, beschloß das für die Überwachung der Geheimdienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages im vergangenen Jahr, den Tod „Corellis“ und dessen mögliche Verbindungen zum NSU durch Jerzy Montag untersuchen zu lassen. Montag sollte im Auftrag des geheim tagenden Gremiums insbesondere klären, ob der V-Mann Richter eines natürlichen Todes gestorben ist, und ob er den Sicherheitsbehörden vielleicht mehr Informationen über den NSU geliefert hat, als bekannt.

In der vergangenen Woche stellte Montag in Berlin  eine gekürzte Fassung seines Berichtes als „Unterrichtung an den Bundestag“ der Öffentlichkeit vor. Der komplette Bericht, der als geheim eingestuft wurde, liegt dem PKGr bereits seit Mai vor. Für diesen durchforstete Montag zwischen Oktober 2014 und April 2015 mit einem kleinen Mitarbeiterstab Hunderte Aktenordner. Vorrangig aus dem Bestand des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Unter dem Strich hat das intensive Aktenstudium nicht viel neues zum Fall „Corelli“ zutage gefördert – schon gar keine Überraschungen. Die Frage der Todesursache, Richter verstarb laut Obduktionsbericht an einem unerkannten Diabetes, hält Montag für geklärt. Hinweise auf ein Fremdverschulden habe er nicht gefunden. 

Direkte Kontakte zum NSU fanden sich in den Akten auch nicht: Lediglich ein Treffen zwischen „Corelli“ und Mundlos während ihres Grundwehrdienstes 1995 ist aktenkundig. Richter hatte seinem V-Mann-Führer davon berichtet, daß er einem Rechtsextremisten aus Jena begegnet sei. Über Kontakte zu Böhnhardt und Zschäpe sagen die Akten nichts. Montag hält es gleichwohl für wahrscheinlich, daß „Corelli“ auch diesen beiden, die wie er tief in der rechtsextremen Szene verankert waren, über den Weg gelaufen ist. Dies müsse aber nicht bedeuten, daß die vier sich tatsächlich gekannt hätten. 

Daß mit dem Bericht alle Spekulationen über die Rolle „Corellis“ verstummen, kann dennoch bezweifelt werden.