© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Als Vasall Moskaus will Nasarbajew nicht dastehen
Kasachstan: Der 75jährige Präsident balanciert geschickt zwischen Rußland, China und dem Westen, doch an einen Nachfolger denkt er nicht
Thomas Fasbender

Schambyl Artykbajew bringt die Problematik auf den Punk: „Mit dem Zerfall der Sowjetunion waren alle ethnischen Gruppen auf sich allein gestellt, auch die Kasachen“, erklärt der Historiker an der Eurasischen Nationalen Gumiljow-Universität in der kasachischen Hauptstadt Astana. „Deshalb suchen wir seit 20 Jahren energisch nach unseren historischen Wurzeln.“ Die Wissenschaftler sind fündig geworden: Mitte des 15. Jahrhunderts befreiten drei kasachische Nomadenstämme, ihre Führer Nachfahren des Dschingis Khan, sich aus der Herrschaft des usbekischen Khans Abu’l-Chair und begründeten die erste Selbstherrschaft des kasachischen Volkes.

Astana feierte just den Anlaß als 450jähriges Jubiläum. Die brandneue Hauptstadt mit ihren Hochhäusern zwischen futuristisch und retro spiegelt ein Bewußtsein, wie es in weiten Teilen Asiens anzutreffen ist. Die Regierung um Präsident Nursultan Nasarbajew will das 21. Jahrhundert und sie will die Zukunft – aber sie will sie auf dem Fundament der eigenen Geschichte und der eigenen Traditionen. Alles läuft auf einen Weg hinaus, der sich dezidiert und zunehmend selbstbewußt vom europäischen unterscheidet.

Ansiedlung der Uranbank unterstreicht Ansehen  

Kasachstan ist mehr als siebenmal so groß wie Deutschland, hat aber nur 17 Millionen Einwohner. In dem Vierteljahrhundert seit der Unabhängigkeit hat das Land eine beachtliche Wegstrecke zurückgelegt, egal ob es um wirtschaftlichen Aufschwung, politische Stabilität oder internationale Reputation geht. Das wird deutlich beim Vergleich mit den zentralasiatischen Nachbarn – den vier anderen „Stans“: Usbekistan, Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan. Ähnlich wie Rußland gilt Kasachstan als autoritäre Demokratie. Und wie sein usbekischer Kollege Islam Karimow stand Nasarbajew bereits an der Spitze, als sein Land noch eine sozialistische Sowjetrepublik war. Doch anders als in Usbekistan floriert die Wirtschaft, die Währung ist konvertibel und ausländische Unternehmen scheuen nicht vor Investitionen zurück.

Trotz der Zugehörigkeit zur russisch inspirierten Eurasischen Wirtschaftsunion gilt Kasachstan nicht als Vasall Moskaus. Ohne Zugang zu den Weltmeeren und zwischen China und Rußland angesiedelt, ist die kasachische Politik immer auch ein Balanceakt. Die meisten Kasachen fühlen sich den Russen näher; das hat mit der kolonialen und später sowjetischen Vergangenheit zu tun, aber auch mit dem Verhältnis der zentralasiatischen Muslime zu den Han-Chinesen, das seit Jahrhunderten angespannt ist.

Die Balancepolitik Astanas resultiert in dem allseits positiven Ruf, den das Land seit Jahren weltweit genießt. Nicht umsonst entschied die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) im Frühsommer, die erste IAEA-eigene „Uranbank“ in Kasachstan anzusiedeln. Diese Uranbank kauft und bevorratet bis zu 90 Tonnen schwach angereichertes Uran-235 für Länder, die ohne eigene Anreicherungsanlagen Kernkraftwerke betreiben. Sie gehört zur Politik der Nichtverbreitung von Kernwaffen und wird von der EU mit 25 Millionen Euro unterstützt. Der Rohstoff stammt aus russischen Anlagen.

Die IAEA-Entscheidung spricht für das Vertrauen seitens der internationalen Gemeinschaft. Auch der Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO, der nach jahrelangen, zähen Verhandlungen seit Juni unter Dach und Fach ist, zeigt die Bereitschaft des Landes, in die Welt hineinzuwachsen.

Doch es gibt auch Rückschläge. Ende August führte die komplette Freigabe des Tenge, der kasachischen Währung, zu einem Kurssturz von 23 Prozent. Naturgemäß leidet Kasachstan unter der Wirtschaftsschwäche seiner großen Nachbarn – so wie es in den zurückliegenden Jahren von deren Aufschwung profitierte. China ist mit 21 Prozent der Exportkunde Nummer eins, Rußland mit 36 Prozent der größte Importlieferant. 36 Prozent aller Ausfuhren gehen nach Rußland und China, während 58 Prozent der Einfuhren aus den beiden Nachbarländern stammen.

Nach Einbußen bei der Wirtschaftsleistung von insgesamt 26 Prozent in den 1990er Jahren arbeitete sich das Land kontinuierlich nach oben. Die Staatsverschuldung liegt bei deutlich unter zehn Prozent. Umfragen zufolge halten ausländische Investoren die politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Risiken für bedeutend niedriger als im Durchschnitt der GUS-Länder. In den zurückliegenden 15 Jahren flossen im Schnitt jährlich rund vier Milliarden US-Dollar Direktinvestitionen ins Land, vor allem in die Rohstoffgewinnung, Produktion und Handel sowie in das Bauwesen.

Astana hofiert Pekings „Neue Seidenstraße“  

Einen neuen Impuls bewirkt das seit einigen Jahren von Peking vorangetriebene Projekt „Neue Seidenstraße“. China sucht Alternativen zum maritimen Transport seiner Exportgüter in den Westen Eurasiens. Dahinter steht auch die Rivalität zwischen China und den USA. Peking fürchtet die Möglichkeiten der Amerikaner, die pazifischen Schiffahrtswege zu blockieren. Mit großem Einsatz werden daher die uralten Landverbindungen nach Westen zeitgemäß ausgebaut. Kasachstan im Norden und Westen der Gebirgsketten, die China und Zentralasien trennen, profitiert unmittelbar.

China ist auch offizieller Partner der in zwei Jahren in Astana stattfindenden Weltausstellung Expo 2017. Es wird die erste derartige Veranstaltung auf dem Boden der ehemaligen Sowjetunion sein. Mehr als 100 Länder haben ihre Teilnahme angemeldet, und zwei bis drei Millionen Besucher werden erwartet.

Vor dem Hintergrund der Weltausstellung kündigte die Regierung zahlreiche Wirtschaftsreformen an. So sollen künftig kleine und mittlere Unternehmen aus dem Nicht-Rohstoffsektor stärker gefördert werden. Zu diesem Zweck wurde auch die Initiative „National Champions“ entwickelt, die den Wissentransfer unter den einzelnen Unternehmen stärken soll. Parallel dazu wird Astana zu einem internationalen Finanzzentrum ausgebaut. Denn mittelfristig soll die Stadt der Eurasischen Union als Finanzmetropole dienen.

Im April 2015 wurde Präsident Nasarbajew (75) mit fast 98 Prozent der Stimmen für weitere fünf Jahre in seinem Amt bestätigt. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht, ihn aufzubauen könnte Nasarbajews letzte Aufgabe sein. 2017 finden Parlamentswahlen statt. Im Hinblick auf die unabwendbaren Veränderungen beobachten Landeskenner eine Belebung der Parteienlandschaft. Gleichzeitig wächst eine junge Generation heran, die Kommunismus und Sowjetunion nur aus dem Geschichtsbuch kennt.