© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Flüchtlingshilfe als keynesianisches Konjunkturprogramm
Gefährliche Einmütigkeit
Dirk Meyer

Die Flüchtlingskrise schafft ungewohnte Einheit: Die Forschungsinstitute IW Köln (Arbeitgeber), IMK (DGB) sowie das DIW (regierungsnah) halten die Asylausgaben für ein keynesianisches Konjunkturprogramm. Das Essener RWI schätzt den Effekt für dieses Jahr auf 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP): Ausgaben pro Flüchtling von 13.000 Euro ergeben bei 800.000 Zuwanderern zehn Milliarden Euro. Da die Mittel voll verausgabt werden, mindern keinerlei Ersparnisse diesen „Erstrundeneffekt“.

Allerdings reduzieren Importgüter (40 Prozent) die Inlandswirkung. Daraus errechnet sich ein kurzfristiger Wachstumseffekt von sechs Milliarden Euro. Da die erzielten Inlandseinkommen wiederum in weiteren Perioden verausgabt werden, entsteht nach John Maynard Keynes ein „Multiplikatoreffekt“. Unter Berücksichtigung einer Sparquote (zehn Prozent), der Importquote (40 Prozent) sowie Steuern (20 Prozent) und sozialer Unterstützung (zehn Prozent) führen einmalige Mehrausgaben von zehn Milliarden Euro zu einer zusätzlichen Nachfrage in künftigen Perioden von 7,5 Milliarden Euro. Zusammen mit den ersten sechs Milliarden Euro ergibt sich eine Zusatznachfrage von 13,5 Milliarden Euro.

Soweit die Theorie. Doch ein Wachstum von 0,2 Prozent bei einem Anstieg der Bevölkerung von einem Prozent bedeutet: sinkender Wohlstand pro Kopf. Außerdem trifft die Annahme freier Kapazitäten vielfach nicht zu. Unterkünfte, Sprachlehrer oder Sicherheitspersonal sind knapp. Die Ausgaben verpuffen in Preissteigerungen oder schlechterer Versorgungsqualität. Wohnraum für sozial Schwache und Studierende wird noch teurer. Die Preise für Wohncontainer verdreifachten sich. Die Gesundheitskarte für Flüchtlinge führt zu Engpässen in Kliniken und Wartezeiten bei Ärzten. Eine schlechtere Versorgungsqualität dürfte mittelfristig auch Schulen und Kitas betreffen.

Belegte Turnhallen und eine Polizei, die Grundaufgaben einschränken muß, sind akut sichtbar. Fehlinvestitionen durch Billigbauten, deren Konzentration zu sozialen Brennpunkten führt, stellen langfristige Gefahren dar. Die Schaffung von Wohnraum, Investitionen in die mehrheitlich schulisch und ausbildungsmäßig unterversorgten jungen Flüchtlinge sowie neue Arbeitsplätze bedürfen eines immensen Kapitalbedarfs. Dieser wird der jetzigen Bevölkerung fehlen. Zudem steht die ökonomisch-gesellschaftliche Rentabilität bei Mindestlohn und hohen Sozialtransfers der Migranten in Frage. Eine Einladung auf Kredit ohne demokratische Legitimation und rechtliche Basis kann auch nicht durch fragwürdige ökonomische Prognosen geschönt werden.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ordnungsökonomik an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. 2012 veröffentlichte er sein Buch „Euro-Krise. Austritt als Lösung?“ und den Sammelband „Die Zukunft der Währungsunion. Chancen und Risiken des Euro“.