© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Da wäre mehr drin gewesen
Der neue Trenker-Film „Der schmale Grat der Wahrheit“ scheitert an den üblichen zeitgeistigen Scheuklappen
Hans Gernheim

Es hätte ein großer Film werden können. Ein großer Film über einen der großen Geschichtenerzähler des 20. Jahrhunderts: Luis Trenker, Südtiroler Urgestein, Spitzenalpinist, gefeierter Filmemacher. 

Darüber hinaus war der „Pera Luis“ (der „tolle Luis“), wie er im ladinischen Idiom seiner Grödner Heimat genannt wurde, auch Architekt, hochdekorierter Offizier der k.u.k. Armee im Ersten Weltkrieg und bis zu seinem Lebensende aktiver Umweltschützer und „grünes Gewissen“ seiner Südtiroler Heimat. 

Und nicht zuletzt war Trenker, gerade aufgrund seiner großen Gabe als Geschichtenerzähler, ein Mann, der den Deutschen in der schwierigen Phase des Neuaufbaues nach der Niederlage 1945 einige unbeschwerte Stunden bescherte, in denen er die Mühsal des Alltags durch seine Fabulierkunst und seinen Optimismus vergessen machte. Trenkers Leben böte somit Stoff für gleich mehrere Filme, man durfte also gespannt sein. 

Angeblich hatte Trenker eine Affäre mit Leni Riefenstahl

Zudem versprach die Besetzung des Epos über Luis Trenker eigentlich nur Gutes. Da ist zunächst einmal ein solider Regisseur: der „Tatort“-Regisseur Wolfgang Murnberger („Der Knochenmann“). Daneben mit Peter Probst ein solider „Tatort“-Drehbuchautor. Und dann der Hauptdarsteller: Tobias Moretti – dem Publikum vor allem als Kommissar aus der Krimiserie „Kommissar Rex“ bekannt. 

Moretti ist wie Trenker Tiroler und hat auch schon in verschiedenen modernen Heimatfilmen brilliert (unvergessen sein „Joe“ in der „Piefke-Saga“ von Felix Mitterer oder sein Andreas Hofer in „Die Freiheit des Adlers“). Träger des Filmprojektes waren der Bayerische Rundfunk (BR) und das österreichische Staatsfernsehen ORF. Herausgekommen ist mit „Der schmale Grat der Wahrheit“ aber nur ein zeitgeistiges Machwerk, das sich dem Ziel verschrieben zu haben scheint, die historische Figur Luis Trenker zu „entmystifizieren“.

Nun gut, geschenkt. „Entmystifizierungen“ können, sofern diese handwerklich gut gemacht sind, auch einen Erkenntniswert haben. Im Falle des neuen Trenkerfilms trifft dies leider keinesfalls zu. 

Ein trauriges Zeugnis für Wissenschaft und Film

Gestützt auf den Subtext der Memoiren von Luis Trenker und Leni Riefenstahl wird eine Geschichte konstruiert, um beide Hauptprotagonisten möglichst stark zu beschädigen. Drehbuchautor Probst erklärte dazu: „Die beiden Hauptquellen sind ja keine verläßlichen Quellen. Riefenstahl schwindelt in ihren Memoiren, Trenker ebenso.“

Der Inhalt ist schnell erzählt: In der Not der Nachkriegsjahre möchte der „schwerbelastete“ Trenker an alte Erfolge anknüpfen und fälscht die Tagebücher von Eva Braun. Trenker möchte sie dem jüdischen Hollywood-Produzenten Paul Kohner, den er von früher kennt, zur Verfilmung anbieten. In diesen Tagebüchern wird behauptet, Leni Riefenstahl sei die Geliebte Hitlers gewesen, was diese vehement (und auch gerichtlich) bestreitet und darin einen Versuch Trenkers sieht, sich auf ihre Kosten von seiner NS-Vergangenheit reinzuwaschen. Es folgen Rückblenden, in denen die angebliche Liebesbeziehung der beiden Ausnahmekünstler thematisiert und als Paradebeispiel für opportunistisches Verhalten während der NS-Zeit karikiert wird.

Der Film strotzt nur so von oberflächlichem Slapstick-Humor, ohne den ein zeitgeschichtliches Thema den Filmemachern von BR und ORF ganz offensichtlich nicht mehr „vermittelbar“ scheint. Historisch gesehen gibt es keinerlei Nachweise über die angebliche Liebesbeziehung zwischen Riefenstahl und Trenker, und auch die Einzelepisoden  – so etwa Trenkers Geschichten von Erstbesteigungen in vereisten Wänden – entspringen wohl der Phantasie des Drehbuchautors.

Ebenso ärgerlich erscheint die gewohnte Darstellung von NS-Größen als dumpfe Fanatiker, die zudem jegliches historisches Wissen vermissen läßt: Joseph Goebbels lobt den „deutschnationalen Geist“, der Trenkers Filme auszeichne. Daß der Terminus „deutschnational“ in der NS-Diktatur verpönt war, da er als Synonym für den konservativen Widerstand galt, der 1934 in der „Nacht der langen Messer“ und schlußendlich im Gefolge des Stauffenberg-Attentats mit brutaler Härte verfolgt wurde, ist den Verantwortlichen entgangen. Dabei, so Drehbuchautor Probst, habe man für diesen Film „jahrelang, auch mit wissenschaftlicher Beratung“ recherchiert. Ein trauriges Zeugnis für die Wissenschaft, ein noch traurigeres Zeugnis für den deutschen Film, der es nicht geschafft hat, aus der Distanz von nunmehr 70 Jahren ein differenziertes Bild dieser Epoche zu zeichnen.

Dabei wäre es noch nicht mal zwingend gewesen, Trenkers Leben auf seine Tätigkeit zwischen 1933 und 1945 zu reduzieren. Eine umfassende Darstellung von Trenkers Biographie wäre durchaus wünschenswert, aus der man auch seine – durchaus diskutable – Haltung zu Faschismus und Nationalsozialismus erklären könnte.

Denn daß Trenker, als Südtiroler zwischen den Mühlsteinen der deutschen und italienischen Diktatur gefangen, sich bemühte, das Beste für sich herauszuholen, ist unbestritten. Auch über seine Flunkereien, seine Schwänke, seine Bauernschläue könnten all diejenigen, die ihn persönlich kannten, beredtes Zeugnis ablegen. Auch sein Opportunismus sei hier erwähnt: Noch heute wird in Bozen erzählt, daß Trenker in den schwierigen 1960er Jahren, als sich die Südtiroler nur mehr mit Bombenanschlägen gegen die italienische Unterdrückung zu wehren wußten, keinen Finger für die bedrängten Landsleute rührte. All dies gehört zu Trenker, wie seine Erfolge ebenfalls zu ihm gehören.

Und eben sein Erzähltalent. Ein Erzähler, der zweifelsohne mehr in der Tradition der „Storyteller“ des alten Irlands stand, bei denen ebenfalls Wahrheit und Fiktion zu einer einzigen Erzählung verschwimmen, denn in der Tradition des preußisch-korrekten Chronisten.

Zweifelhafte Verwendung   von Originalmaterial

Doch zu all diesen Facetten fällt Regisseur Murnberger nicht viel ein, außer Schlüpfrigkeiten. Trenker erklärt seiner Frau Hilda die angebliche Affäre mit Leni Riefenstahl so: „Du weißt, ich kann alleine nicht schlafen.“ Dazu haufenweise Nazikitsch und dümmliche Einlagen. So wird Moretti in Schwarz-weiß-Szenen des legendären Trenker-Films „Der Rebell“ von 1932 hineinkopiert, ein mehr als mißlungener Kunstgriff, der das historische Werk zusätzlich „dekonstruieren“ soll.

Trenker selbst hätte sich ob dieses mißlungenen Films wohl sehr amüsiert gezeigt, denn er war ein Mensch mit großem Herzen und großem Humor. Allerdings hatte Trenker, bei all seinen Schwächen, etwas, was diesem Film völlig abgeht: Stil. 

Wer also von solchem Firlefanz noch nicht genug gesehen hat, dem sei der Film „Der schmale Grat der Wahrheit“ empfohlen. Ohne Tiefgang ausgestattet, kann er nebenbei konsumiert werden, ähnlich einem MTV-Musikvideo. Allen anderen Interessierten seien die originalen Trenker-Filme empfohlen, insbesondere seine Meisterwerke „Der Rebell“ (1932), „Condottieri“ (1937), „Der verlorene Sohn“ (1934) sowie das Weltkriegsdrama „Berge in Flammen“ (1931). 

Ansonsten empfiehlt es sich, Trenker selbst zu lesen: In seiner Autobiographie „Alles gut gegangen. Geschichten aus meinem Leben“ (1965) berichtet der „Pera Luis“ aus erster Hand darüber. Sicherlich nicht immer wahrheitsgetreu, mit Augenzwinkern. Aber mit Stil. 

Luis Trenker – Der schmale Grat der Wahrheit. 18. November, 20.15 Uhr, ARD www.br.de