© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Letztes Duell der Donaumonarchie
Vom Isonzo bis in die Dolomiten: Der Krieg zwischen Italien und Österreich-Ungarn 1915 bis 1918
Dag Krienen

Ein Schweizer Offizier, der im Frühjahr 1915 einige im Feld stehende k.u.k. Einheiten besuchte, vermerkte, daß es dort wenig Antipathien gegenüber den aktuellen Feinden gäbe. Nur die Italiener würden von fast allen Soldaten von Herzen gehaßt. Zu diesem Zeitpunkt war Italien formal noch ein Bündnispartner Deutschlands und Österreich-Ungarns, allerdings auf dem besten Wege, in das alliierte Lager zu wechseln. Am 23. Mai erklärte Rom Wien den Krieg.

Im Ersten Weltkrieg stellte der in den Alpen und im Karst geführte Krieg über weite Strecken ein separates Duell zwischen zwei „Erbfeinden“ dar, an dem die jeweiligen Verbündeten nur am Rande und auf begrenzte Zeit teilnahmen. Den italienischen Befürwortern des Krieges ging es um die Vollendung der im 19. Jahrhundert hauptsächlich auf Kosten Österreichs errungenen nationalen Einheit, der Donaumonarchie von Kaiser Franz Joseph hingegen um die Selbstbehauptung als Großmacht gegenüber einem Gegner, der unter dessen langer Regentschaft militärisch 1848/49 und 1866 besiegt wurde und der 1859 und 1866 seine Ziele nur aufgrund der Erfolge seiner französischen und preußischen Verbündeten hatte erreichen können. 

Wien konnte sich die Loyalität seiner Truppen durch den Verweis auf den italienischen „Verrat“ und die alten Schlachtenerfolge gegen den „Erbfeind“ sichern, zumal die italienischen Ansprüche auf Istrien und Dalmatien auch die meisten Südslawen zu Feinden Italiens werden ließen. Für Österreich-Ungarn wurde der Kampf an der Südwestfront zum wichtigsten Krieg im Weltkrieg, zumal es hier, anders als gegen Rußland und Serbien, größere Niederlagen vermeiden und sogar einige Erfolge erzielen konnte. Die Monarchie behauptete sich gegen wiederholte Offensiven der Italiener, die dabei fürchterliche Verluste erlitten. 650.000 italienische Soldaten mußten mit ihrem Leben zahlen, viermal mehr als auf österreichischer Seite.

In Italien waren und blieben sowohl der Kriegseintritt als auch die Kriegsteilnahme danach zwischen den sich aus allen Parteien rekrutierenden „Interventionisten“ und „Defätisten“ umstritten. Ein großer Teil der einfachen Bevölkerung lehnte den Krieg ab. Zu keiner Zeit konnte ein nationaler „Burgfrieden“ geschlossen werden. Im Gegenteil: Die soziale, politische und regionale Zerrissenheit des Landes wurde durch die enormen Kriegsanstrengungen noch wesentlich verschärft und so die Grundlagen für den späteren Aufstieg des Faschismus gelegt.

Der Krieg zwischen Italien und Österreich-Ungarn ist in der historischen Erinnerung der Österreicher und Italiener mittlerweile zu bloßem Schulbuchwissen herabgesunken. Auch die historische Forschung in beiden Ländern wandte sich ihm erst angesichts des hundersten Jahrestages des Beginns des Ersten Weltkriegs wieder stärker zu. Eine Gruppe österreichischer und italienischer Forscher hat deshalb einen Sammelband herausgegeben, der neuere Forschungsergebnisse in zusammengefaßter Form einem breiteren Publikum zur Kenntnis bringen will. Der gleichzeitig auch auf italienisch erschienene Band „Krieg in den Alpen. Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg (1914–1918)“ enthält je zwei nationale Beiträge zu den sechs Themenkreisen Regierung und Politik, militärische Kriegführung, soldatisches Erleben, Gesellschaft und Mobilisierung, Propaganda und kulturelle Mobilisierung sowie Entwicklung der Erinnerung und Geschichtsschreibung.

Auch wenn die einzelnen Beiträge wenig substantiell Neues bringen, bieten sie doch dem Leser insgesamt einen guten Überblick über die wichtigsten politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen, Ereignisse und Folgen des Krieges. Natürlich fällt die Qualität im einzelnen unterschiedlich aus. Eine Wiener Professorin für Frauen- und Geschlechtergeschichte für den Beitrag über die Erlebniswelt der k.u.k. Soldaten an der Südwestfront auszuwählen, war nicht optimal. Man mag ihr zugute halten, daß sie sich bei ihrem Leib-und-Magen-Thema zurückhält, aber es zeigt sich deutlich, daß ihr die Lebenswelt männlicher Frontsoldaten jenseits einiger Stereotype fremd bleibt. 

Ein „transnationales“ Geschichtsbild angestrebt

Viele Beiträge sind zudem nicht frei von modischen, dem Zeitgeist opfernden Anwandlungen. Diese fallen allerdings dezenter aus als in vergleichbaren bundesdeutschen Elaboraten. Der Leser kann sie leicht ausblenden . Eine weitere – im übrigen ebenfalls leicht zu ignorierende – Zumutung liegt in dem Bestreben der Herausgeber, den Band als einen ersten Schritt zu einer „transnationalen“ Geschichte des Ersten Weltkrieges zu feiern. Darunter verstehen sie mehr als jene vergleichende Betrachtung, die der Band in verdienstvoller Weise realiter vornimmt. 

Vielmehr streben einige der Autoren eine „an Menschenrechtsfragen orientierte“ und „transnationale“ Geschichtsinterpretation des Krieges an, „das möglicherweise auch das populäre Geschichtsbild zunehmend formen kann“. Dabei würde wohl vor allem der gemeinsame Opferstatus in den Vordergrund treten, die Unterwerfung aller unter „menschenrechtlich“ illegitim agierende militärische Gewalt- und Zwangsapparate. Daß ehedem die ganze Welt verrückt war, will der letzte Mensch halt immer wieder aufs neue bewiesen sehen. Daß ein jeder Krieg mehr und elementarere Dimensionen hat als nur diese, entzieht sich seinem Verständnis.

Nicola Labanca, Oswald Überegger (Hrsg,): Krieg in den Alpen.Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg (1914–1918). Böhlau Verlag, Wien, 2015, gebunden, 346 Seiten, 35 Euro

Foto: Österreichisch-ungarische Truppen erbeuten 1916 italienisches Schiffsgeschütz: Von Herzen gehaßt