© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Herzschlag der westlichen Zivilisation
Der indische Publizist Vishal Mangalwadi arbeitet die Strahlkraft der Bibel auf viele Bereiche der westlichen Kultur heraus
Felix Dirsch

Zu den wohl bemerkenswertesten Neuerscheinungen dieses Bücherherbstes zählt die persönlich ausgerichtete Studie des indischen Intellektuellen und Aktivisten zugunsten der Sache der Armen Vishal Mangalwadi. Er gründete bereits in den siebziger Jahren eine Vereinigung, um das Leid der Verelendeten in Zentralindien zu bekämpfen. Weiterhin betrieb er selbst lange Jahre eine Landwirtschaft, um den harten Alltag seiner Klientel kennenzulernen. Unstrittig ist für ihn der Hemmschuh, den einige Traditionen – auch religiöse – für Indien darstellen.

Die von ihm als unfair empfundene Kritik des indischen Gelehrten Arun Shourie an der Bibel als angebliches Instrument der britischen Kolonisatoren war der Anlaß für Mangalwadi, sich mit diesem „Herzstück der westlichen Kultur“ eingehend zu beschäftigen. Das Ergebnis ist ein fundiertes Werk, das die Hochschätzung unserer Kultur angesichts zahlloser Versuche multikulturalistischer Relativierung bekundet.

In vielen Lebensbereichen heute noch beispielgebend

Mangalwadi weiß, daß die Bibel als Sammlung verschiedener Bücher aus unterschiedlichen Zeiten vieldeutig ist. In sieben Teilen („Die Seele der westlichen Zivilisation“; „Eine persönliche Pilgerreise“; „Der Same der westlichen Zivilisation“; „Die Revolution des Jahrtausends“; „Die intellektuelle Revolution“; „Was brachte den Westen an die Spitze?“; „Die Moderne erobert die Welt“) erörtert der studierte Philosoph diverse kulturelle Bereiche und weist den Einfluß der Bibel nach. Dazu zählen Gebiete wie Heldentum, Vernunft, Wissenschaft, Bildung, Sprache oder Wissenschaft.

Bereits im englischen Original von 2011 hat das Werk große Aufmerksamkeit geweckt. Rezensenten verglichen sie mit der Wirkmächtigkeit des berühmten Reiseberichtes „Über die Demokratie in Amerika“ von Alexis de Tocqueville. Dieser politiktheoretische Klassiker arbeitete früh den protestantisch-freikirchlichen Hintergrund der demokratischen Institutionen der USA heraus.

Mangalwadi kennt die vielfältigen Einwände gegen die Bibel, deren Weltbild dem ihrer Verfasser zur Zeit ihrer Entstehung entspricht. Gerade die neuzeitliche Dynamik brachte eine Diastase zwischen vielen christlichen Überlieferungen und modernen Errungenschaften hervor, etwa auf dem Feld der kulturellen Emanzipation und bezüglich mancher naturwissenschaftlichen Sichtweisen. Überblickt man jedoch die ersten 1.500 Jahre unserer Zeitrechnung, so läßt sich unschwer die inspirierende Kraft des Glaubens auf vielen Sektoren des Lebens, beispielsweise der Technik wie auch der Frauenbefreiung, verleugnen. Auch wenn die Rolle der Frau in der Tradition des Christentums eine nach heutigen Maßstäben meist unterprivilegierte Stellung besaß, ist das für Indien, wo selbst heute noch gesellschaftlich relevante Organisationen die Wiedereinführung der Witwenverbrennung fordern, ein beispielgebendes Modell.

Die erwähnten Einflüsse der Bibel auf das moderne Leben aufzuzeigen, ist zumeist nicht einfach, da diese oft nur indirekt, gebrochen und im Kontext mit anderen Strömungen wirken. Natürlich schießt der so kundige Autor manchmal übers Ziel hinaus, wenn er bestimmte Verhaltensweisen mit dem auf der Bibel fundierenden Katechismus erklärt – und damit Unterschiede zwischen Niederländern und Ägyptern erklären will, weil der Katechismus bereits vor Jahrhunderten für viele Niederländer prägend gewesen sei. 

Mangalwadi scheut sich nicht, den absehbaren Abstieg der USA auf die Zunahme säkularer Tendenzen zurückzuführen, da das Buch der Bücher dort abseits des „Bibelgürtels“ als kulturprägende Offenbarung Gottes keine Rolle mehr spiele. Der häufige Gast in den Vereinigten Staaten setzt dem Verlust der westlichen Seele ein mutiges Bekenntnis entgegen, als wolle er sich dem Unheil entgegenstemmen. Auch wenn der Prophet im eigenen Lande nichts gilt, wünscht man sich in anbetracht der wohltuenden Analysen Vishal Mangalwadis mehr Verteidiger des Eigenen auch bei uns.

Vishal Mangalwadi: Das Buch der Mitte. Wie wir wurden, was wir sind: Die Bibel als Herzstück der westlichen Kultur. Brunnen Verlag, Basel 2015, broschiert, 608 Seiten, 21,99 Euro