© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Der Flaneur
Wunderbares Wochenende
Josef Gottfried

Ja, danke für Ihren Rückruf, ja, genau, es ging um Ihre Klage beim Sozialgericht, ich ... oh, ich höre schon, Sie sind schwer beschäftigt ... Nur ganz kurz, ich wollte nur fragen, ob Sie Zeit für ein Interview ... Genau, vielleicht Montag um 13 Uhr? Ja, ist vergleichbar mit dem HR3, und ich möchte da auch im Internet was zu machen ... Gut ... dann ... sind wir fest verabredet? Montag um 13 Uhr dann, ja, wir haben das dann als festen Termin, genau, 13 Uhr, dank... ja ... danke, auf Wiederhör’n. Tschüß ... ja ... tschüß“, spricht sie unüberhörbar durch den ganzen Regionalexpreß.

Sie unterbricht ihn mit diesem „Alles gut“, was seit einigen Monaten en vogue zu sein scheint.

Neben ihr sitzt ein Mann, der im Film als weiser Kirgise eingesetzt werden könnte. Sie sei ja vielbeschäftigt, sagt er wirklich freundlich in liebenswert gebrochenem Deutsch, „immer erreichbar, ja?“ – „Und jetzt habe ich ein wunderbares Wochenende vor mir“, kommt es in etwas unangemessener Härte zurück, so daß man fast glaubte, hier sei nur ein Wunsch der Vater des Gedanken. 

Das sei nicht böse gemeint gewesen, geht der Mann in die Defensive, sie unterbricht ihn mit diesem „Alles gut“, was seit einigen Monaten erst en vogue zu sein scheint und den sich Entschuldigenden eher für seine Entschuldigung beschämt, als ihn um seine Schuld zu entlasten.

Unauffällig drehe ich mich um, um einen Blick auf die angespannte laute Journalistin zu werfen. Nicht so teure Wildleder­schuhe, trotz ihrer Größe noch mit Absätzen, Jeans, Bluse und Jackett, so eine Art Öffentlicher Rundfunk-Business-Look. Ende 30, mit schweren Beinen, breiten Hüften und vollem Gesicht unter schulterlangen, glatten Haaren. Schülerzeitung, Praktika, Studium und Volo, 20 Kilo später sitzt sie hier, alleinstehend, und kommt nicht weiter. Sie hat ihre Lippen korallenrot geschminkt, sicher als modischer Ausdruck, aber bestimmt auch als Zeichen nicht aufgegebener Hoffnung. Aber bitte kein Kirgise, wenn’s geht.