© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

„Es wird ein schlimmes Ende nehmen“
Die Asylpolitik der Bundesregierung wird in ein Desaster führen, davor warnt Uwe Brandl, Vize-Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindetages
Moritz Schwarz

Herr Dr. Brandl, konnten Sie Ihren Disput mit der Bundeskanzlerin bei Ihrem jüngsten Treffen beilegen?

Brandl: Von einem Disput würde ich nicht sprechen.

Sondern?

Brandl: Wir haben verschiedene Meinungen darüber, wie man mit der Massenimmigration umgehen soll.

„Ich bin blank entsetzt ... Wer so agiert, riskiert, daß das Land mit Karacho gegen die Wand knallt“, haben Sie im Bayerischen Rundfunk über die Kanzlerin gesagt. Das klingt allerdings schon nach mehr als nur nach Meinungsverschiedenheit. 

Brandl: Ich bin einfach in Sorge, daß wir unsere Gesellschaft überfordern – und damit deren politische Ränder, vor allem den extremen rechten Rand ungewollt fördern.

Sie kritisieren, die Kanzlerin gefährde „den sozialen Frieden im Land“, warnen davor, die Funktionsfähigkeit unseres Staates, ja der Demokratie insgesamt sei bedroht, und stellen in Frage, ob Frau Merkel noch ihrem Amtseid treu sei. Das ist kein Disput? 

Brandl: Ich bin nach wie vor baß erstaunt über die Kanzlerin, aber der Begriff Disput ist einfach nicht der richtige. 

Wie würden Sie es nennen?

Brandl: Bei dem Treffen zwischen der Bundeskanzlerin und uns Vertretern der kommunalen Spitzenverbände hat sich einmal mehr gezeigt, daß sie leider aktuell ausschließlich auf internationale Ansätze zur Lösung der Krise abhebt. Das kann nicht sein. 

Warum? Was ist daran falsch? 

Brandl: Das ist nicht falsch, aber zu wenig. Es darf bezweifelt werden, ob dieser Ansatz allein ausreicht, um den Einwandererzustrom einzudämmen, beziehungsweise daß damit die bei uns entstandenen Probleme gelöst werden. Ich glaube, jeder sieht, daß unser Land an seine Grenzen stößt – nicht nur technisch, ebenso politisch und sozial. 

Inwiefern?

Brandl: Dieser Massenzustrom wird  zwangsläufig zu maßgeblichen sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen führen, das wird von keinem ernstzunehmenden Soziologen oder Politologen bestritten. Dennoch gibt es von seiten der Politik keinerlei Diskussion mit der Gesellschaft darüber, ob diese Veränderungen überhaupt gewollt werden.

Und Sie bezweifeln das? 

Brandl: Ja! Wer offen mit den Bürgern spricht, gewinnt diesen Eindruck. Machen wir uns keine Illusionen: Die Stimmung droht nicht zu kippen – sie ist in vielen Bereichen bereits gekippt. 

Trotz aller Kritik im Volk, die Umfragen belegen noch keinen entscheidenden politischen Umschwung.

Brandl: Die Akzeptanz ist geschwunden, das belegen die aktuellen Umfragen. Ich fürchte, daß sich unsere Gesellschaft bei einem blinden Fortsetzen dieser „Wir schaffen das“-Politik spalten wird. Ein „Weiter so!“ hält dieses Land nur noch eine begrenzte Zeit aus. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sogar zugeben: Unsere Regierung hat zugelassen, daß die Grundsätze unserer Rechtsstaatlichkeit bereits gelitten haben.

Was bedeutet das konkret? 

Brandl: Unser Rechtsstaat ist in Teilbereichen funktionslos. 

Klingt bedrohlich. 

Brandl: Ist es auch. Weder wird das Dublin-III-Abkommen noch das Asylverfahrensgesetz, noch gar Verfassungsrecht vollständig korrekt angewandt! Und Teile der Politik sind nicht bereit, wenigstens die dringend notwendige Debatte zu führen, wie wir diese Zustände schleunigst korrigieren können. Stattdessen versucht man, sich durchzuwursteln. Aber so werden wir das Volk schließlich nur denen in die Arme treiben, die darauf schon lange warten, um ihr rechtes Süppchen zu kochen. 

Wie müßte eine Lösung aussehen? 

Brandl: Ich rede noch nicht einmal von Schließung der Grenzen, sondern in erster Linie von Beseitigung der sogenannten Pull-Faktoren, also allem, was Einwanderung anzieht. Voraussetzung dafür ist, sich einzugestehen, daß unsere Sozialgesetzgebung nicht darauf ausgelegt ist, solche Mengen an Asylflüchtlingen – falls es überhaupt solche sind – mitzuversorgen. Stattdessen brauchen wir ein eigenes Asylleistungsgesetz. Und wir müssen wieder dahin zurück, straffällig gewordene Asylbewerber außer Landes zu bringen. Vor allem muß Dublin III wieder gelten. 

Das ist doch angeblich wieder in Kraft. 

Brandl: Eben, angeblich. Tatsächlich aber kommen die Leute weiter in großer Zahl, etwa über die Grenze zu Österreich. Dublin III bedeutet aber natürlich auch, daß wir unsere Partnerländer in den EU-Grenzregionen und in den Krisengebieten unterstützen müssen und in den Krisenregionen selbst aktiv für Befriedung zu sorgen haben. Wenn wir nicht anfangen, endlich effektiv der Eskalation des Problems entgegenzuwirken, wird es ein schlimmes Ende nehmen. 

Das heißt konkret? 

Brandl: Das können Sie sich selbst ausrechnen: 1,5 Millionen Flüchtlinge je in diesem sowie jeweils in den folgenden Jahren und dazu ein Familiennachzug von mindestens vier Personen pro Kopf – das führt rein rechnerisch zum Kollaps. Dazu kommt, daß die meisten dieser Menschen einen völlig anderen soziokulturellen  und religiösen Hintergrund haben als wir. Im Klartext, bis 2020 können wir rund zwanzig Millionen Menschen mehr im Land haben, die nicht durch unsere grundgesetzliche Wertordnung sozialisiert sind.

Der Nährboden für sogenannte „Home-grown Terrorists“ – Terroristen, die, wie offenbar die Mehrzahl der Attentäter in Paris, im eigenen Land naturalisiert sind?

Brandl: Die Gefahr besteht wohl. Inwieweit der Islamische Staat dies jedoch konkret nutzt, um Brückenköpfe in Europa zu schaffen, müßten Sie einen Experten fragen. Jedem muß allerdings klar sein, daß der Zustrom für eine tiefgreifende Veränderung unserer Gesellschaft sorgen wird. Unsere Gesellschaft wird ein anderes Gesicht bekommen. Ich frage: Haben wir das demokratisch debattiert? Derzeit entwickelt es sich einfach, und wir schauen nur dabei zu.

Aber sind wir denn wirklich schon an unserer Kapazitätsgrenze angelangt?

Brandl: Das fragen Sie nicht im Ernst?

Doch, denn SPD- und Grünen-Politiker – außer Boris Palmer – betonen immer wieder, die Mehrheit der Bürgermeister und Landräte sei keineswegs der Meinung, die Aufgabe sei an sich nicht zu schaffen. 

Brandl: Pardon, aber das ist blanker Unsinn! Der Bürgermeister, der so etwas sagt, der soll sich sofort bei mir melden und seine offenbar noch nicht ausgelasteten Kapazitäten zur Verfügung stellen. Ich sage, da meldet sich keiner! 

Der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Ulrich Grillo, ist begeistert von der Chance, die Deutschland mit dem Zuzug so vieler Flüchtlinge erhält. 

Brandl: Auch das kann ich nicht mehr hören. Dann soll die Industrie sich gefälligst auch an den Kosten der Integration beteiligen. Wie wäre es, etwa mal eine Milliarde zu spenden, um nicht alphabetisierte Menschen fit für eine moderne Industrie zu machen. Frontdienst ist da angesagt, meine Herren! Und der findet in den Kommunen statt, nicht in irgendwelchen schlauen Unternehmertagungen. Übrigens haben mir Vertreter der heimischen Wirtschaft gesagt, wir sollten uns von dem Gedanken verabschieden, die Flüchtlinge könnten unsere Arbeitsmarktprobleme lösen. Im Gegenteil, der Anteil unter ihnen, der schnell – das heißt binnen drei Jahren – in den Arbeitsmarkt integriert werden kann, liege bei maximal zwei Prozent. Nach weiteren fünf Jahren könnten es vielleicht zehn Prozent sein. Ein Großteil aber, so Experten, droht langfristig in den Sozialsystemen zu verbleiben. Ich fasse zusammen: Weder der Arbeits- noch der Wohnungsmarkt, noch die Sozialsysteme werden diesen Zuzug ohne maßgebliche Beschädigung überstehen. Die Folgen werden schließlich die breite Mitte der Gesellschaft treffen. Und auch das wird dazu führen, daß die soziale Akzeptanz radikal sinken wird. 

Aber hat die Koalition mit dem Asylkompromiß nicht das Problem gelöst? 

Brandl: Bei allen guten Ansätzen, die Mehrheit der Koalition macht den Fehler, sich darauf zu konzentrieren, den Ist-Zustand abzuarbeiten. Das reicht aber nicht, weil das Problem dynamisch ist.

Was müßte die Bundeskanzlerin ganz konkret tun? 

Brandl: Sie müßte ein Zeichen setzen! Sie müßte unmißverständlich klarmachen, daß dieses Land nicht unbegrenzt aufnahmefähig ist. Das würde bedeuten, daß sie sich von ihrer bisherigen Position weitgehend abwenden muß. Und sie müßte den Mut und die Kraft haben, klarzumachen, daß die meisten, die kommen, nicht bleibeberechtigt sind und die verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Konsequenzen umsetzen.

Sprich, abschieben?

Brandl: Recht ist, daß gehen muß, wer keine legale Grundlage hat, zu bleiben. 

Das wird Frau Merkel nicht tun, denn sie will nicht in den „Wettbewerb darum eintreten“, wer den Flüchtlingen „das häß­lichste Gesicht zeigt“, wie sie gesagt hat. 

Brandl: Ist es besser, die eigene Bevölkerung zu überfordern? Das ist nämlich die Konsequenz. Und Überforderung würde Staat und Gesellschaft beschädigen und nach meiner Ansicht einen erheblichen Rechtsruck provozieren. 

Sie fragen, ob Frau Merkel ihrem Amtseid noch treu sei. Vielleicht aber hält sie ihren Kurs ganz aufrichtig für das Beste zum Wohle des deutschen Volkes.

Brandl: Was das Wohl des deutschen Volkes ist, bestimmt keine einzelne Person, auch keine Bundeskanzlerin, sondern immer noch das Volk selbst. Jetzt bin ich wieder am Anfang: Die Politik hat es in weiten Teilen versäumt, genau über diese Frage mit dem Volk einen Dialog zu führen. Die Bürger aber werden auf lange Sicht mit der aktuellen Interpretation vieler Politiker vom „Wohle des Volkes“ nicht mitgehen.

Mancher Bürger fragt sich, ob er nicht das Recht, ja sogar die Pflicht hat, nun Widerstand zu leisten. Im Grundgesetz gibt es einen Widerstandsartikel, ist dieser bereits tangiert? 

Brandl: Gewalt lehne ich ab. Demokratisches Mittel ist die Wahl. Und genau das befürchte ich – nämlich daß Parteien gewählt werden, deren Herrschaft wir uns nicht wirklich wünschen können.  

Wir haben über die Verantwortung von Frau Merkel gesprochen; die Regierung besteht aber auch aus Ihrer Partei, der CSU. 

Brandl: Das stimmt. Allerdings sind die konstruktivsten Lösungsvorschläge immer noch von der CSU gekommen. Vielleicht muß man sagen, leider. Denn dadurch hat sich die Chance verringert, daß sie sich durchsetzen.

Aber auch die von der CSU vorgeschlagenen Transitzonen hätten das Problem, den massenhaften Zuzug, nicht eingedämmt. Denn wer dort abgelehnt wird, der geht eben wieder illegal über die grüne Grenze.  

Brandl: Natürlich muß man gleichzeitig die Grenzkontrollen verstärken. Das geht Hand in Hand. Jetzt wird ständig so getan, als ob wir uns wie die DDR einmauern wollten. Das ist doch Unsinn. Tatsache ist: Ein Staat, der seine Grenzen völlig aufgibt, existiert de facto nicht mehr. Die eigenen Grenzen zu kontrollieren ist das Normalste der Welt und hat mit DDR-Verhältnissen nichts zu tun. 

Warum hat die CSU dann ständig von Transitzonen gesprochen statt von Grenzsicherung, wenn dies das wahre Thema ist?

Brandl: Beides gehört zusammen. Entscheidend ist, daß wir – so hart es klingt – Bilder nach außen transportieren, daß wir unsere Grenzen sichern und uns vor Überforderung schützen. Nur wenn sich in den Herkunftsländern die Botschaft verbreitet, daß unsere Aufnahmefähigkeit erschöpft ist, wenn Bilder der Begrenzung die Runde machen, wird sich der Zustrom verringern. So leid es mir tut, aber das ist die Realität, der sich die Politik stellen muß – wenn sie nicht die Kontrolle im eigenen Land verlieren will. Wir sind nicht in der Lage, die Probleme der Welt zu lösen.






Dr. Uwe Brandl, ist Präsident des Bayerischen Gemeindetags und Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Das CSU-Mitglied, Jahrgang 1959, ist Jurist und Bürgermeister seiner Vaterstadt Abensberg in Niederbayern.

Foto: Einwanderer überschreiten die deutsche Grenze bei Passau: „Der Zustrom wird zu maßgeblichen sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen führen ... Dennoch gibt es seitens der Politik keine Diskussion mit der Gesellschaft darüber, ob diese überhaupt gewollt werden“

 

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