© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

Wer zuviel spart, gefährdet seine Existenz
Wettbewerb der Autoversicherungen: Der billigste Anbieter ist nicht immer der beste / Ausspähtarife ermöglichen fragwürdige Rabatte
Peter Offermann

Jedes Jahr im November läuft die Versicherungsbranche auf Hochtouren. In der Kfz-Sparte herrscht Wechselzeit, doch der billigste Tarif ist nicht immer der beste. Vergleichsportale locken mit Ersparnissen von mehreren hundert Euro – doch das Kleingedruckte hat es oftmals in sich. Im Extremfall muß die Assekuranz nicht oder nur teilweise zahlen. Sogar in der Kfz-Haftpflicht lauern Fallstricke.

Rabattmonster Telematik

Die gesetzliche Deckung (7,5 Millionen bei Personen-, eine Million Euro bei Sachschäden) reicht bei schweren Unfällen nicht aus – und dann geht es erbarmungslos an die eigene Tasche. Eine unbegrenzte Deckung gibt es zwar nicht mehr, aber 100 Millionen sind unverzichtbar. Wer Fernreisen unternimmt, sollte beachten, daß ausländische Mietwagen dort über die aufpreispflichtige „Mallorca-Klausel“ nicht versichert sind. Nur eine „Traveller Police“ deckt weltweit die Differenz zwischen der jeweils gültigen gesetzlichen Mindestdeckungs- und der Schadenssumme ab.

Im Vollkaskobereich ist der Einschluß der groben Fahrlässigkeit unabdingbar. Niemand ist vor dem Überfahren einer roten Ampel mit Totalschaden als Folge gefeit. In der Teilkasko sollten nicht nur Zusammenstöße mit Haarwild, sondern mit Tieren aller Art mitversichert sein. Bei Neuwagen ist die Neuwertentschädigung meist auf sechs Monate begrenzt, sie kann jedoch gegen Aufpreis auf 24 Monate erweitert werden. Tarife mit Werkstattbindung, die bis zu 20 Prozent billiger sind, können für Kredit- oder Leasingnehmer brisant sein, da sie so die Neuwagengarantie riskieren. Überlegenswert ist auch ein „Rabattretter“, der bei einem selbstverschuldeten Unfall die künftige Versicherungsprämie nicht sofort steigen läßt.

Die Kfz-Versicherung ist wegen des intensiven Wettbewerbs für viele Assekuranzen defizitär. Während in anderen Sparten ordentlich Geld verdient wird, überstiegen in den Jahren 2008 bis 2013 die Schadenskosten nach Abwicklung die verdienten Bruttobeiträge deutlich. Erst 2014 konnten die Kfz-Versicherer wieder einen kleinen Gewinn verbuchen. Damit das künftig auch so bleibt, testen einige Anbieter ungewöhnliche Wege: Wer sich von seiner Versicherung freiwillig überwachen läßt, zahlt in einem sogenannten Telematik-Tarif weniger. Die Kehrseite: Wer auf Privatsphäre und Datenschutz besteht, muß künftig draufzahlen. Die Allianz plant die Einführung der Rabattmonster. Die HUK testet die Ausspähtarife bereits bei den eigenen Mitarbeitern. Im Ausland wurden Telematiktarife bereits eingeführt. 

Telefonieren während der Fahrt, wie viele Stunden habe ich geschlafen, wie oft beschleunige ich, wie schnell fahre ich – das zu erfassen, ist technisch längst möglich. Einfallstor für die Stasi 2.0 sind eingebaute Autonavigationssysteme in Verbindung mit dem elektronischen EU-Notrufsystem 112-eCall, welches ab April 2018 zur Pkw-Pflichtausstattung gehört (JF 16/15). Das neue Gerät mit seiner identifizier- und ortbaren Mobilfunk-SIM-Karte läßt sich nicht nur zur Etablierung einer flächendeckende Maut nutzen. Allianz-Vorstand Alexander Vollert ist sich sicher, daß die Autofahrer den Ausspähtarif annehmen werden, wenn Datensicherheit gewährleistet und deutliche Prämiennachlässe möglich sind.

Bei Pflichtverletzungen muß der Versicherer nicht zahlen

Junge Fahrer, die vorsichtig und umsichtig am Straßenverkehr teilnehmen, könnten durch die Ausspähtarife besonders profitieren, glaubt Werner Rapberger von der Unternehmensberatung Accenture. Für den Versicherungsnehmer sind diese Tarife jedoch kaum nachvollziehbar, da das Überwachungsergebnis lediglich als Punktestand mitgeteilt wird. Rapberger prognostiziert, daß sich diese Tarife nur langsam durchsetzen, da die Deutschen ihre Daten ungern preisgeben. Peter Heidkamp von KPMG rechnet mit einem raschen Erfolg, wenn Rabatte von fünf bis zehn Prozent locken. Ob das reicht, um sich zum gläsernen Versicherungskunden zu werden?

Die Pläne gehen aber noch weiter. Auch Lebens- oder Krankenversicherte könnten via Mobiltelefon und „SmartWatch“ ausspioniert werden. Im Gegenzug soll es zum Preisnachlaß Ernährungs- und Bewegungstips frei Haus geben. Bei Pflichtverletzung steigt hingegen die Prämie – oder der Versicherer muß nicht mehr zahlen.