© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

Der Flaneur
Anmutige Förmlichkeit
Sebastian Hennig

In hübsche junge Verkäuferinnen verliebte sich schon der alte Dichter Gottfried Benn. Mit Goethes Fabel vom Gott und der Bajadere verbrämte er sich die erotische Gewährung.

Merklich anders und vorsichtiger sind die Leute inzwischen miteinander geworden. Ich bedünke mich keinesfalls, Mahadö, dem Herrn der Erde, gleich zu sein. Meine Herrin waltet daheim. Und die Distanz, zuweilen unterstützt durch nicht brillengestützte Kurzsichtigkeit, zaubert mir auswärts die schönsten Schemen vor die Augen. Da will ich oft gar nicht nähertreten, damit der Zauber der Entschärfung nicht vergeht.

Warum mir aber eine Jugendfrische mit den prallen Wangen, keck gebundenem Schweif und dem weich gewölbten Kinn auch aus der Nähe so ausnehmend gut gefällt, wurde mir nun mit einem Mal klar, als in der Reihe vor mir ein noch älterer Verehrer auf ihr „Guten Tag“ ganz verzückt feststellte: „Sie sagen das so schön.“ Die Maid hinter dem Band gesteht ohne weiteres: „‘Hallo’ ist mir irgendwie zu persönlich.“

Sie bleibt sachlich und ist dadurch entzückender als mit jeder unterschwelligen Anspielung.

Völlig unbefangen durch den Wortwechsel fragt sie sogleich, ob ein Kassenzettel erwünscht sei. Danke nein, sie hätte wohl einen größeren Papierkorb als er daheim. In diesem Falle, so gibt sie Bescheid, würde sie aber gleich gar keinen Beleg ausdrucken. Sie bleibt sachlich und ist dadurch entzückender als mit jeder unterschwelligen Anspielung. Ich bin hingerissen von der klaren Konversation zweier Menschen zwischen den trostlosen Signalen von Barcode und Bargeld.

Nun komme ich an die Reihe. Sie erspäht, wie mir beim Einpacken eine Mandarine aus dem Netz rollt und fordert darauf sogleich die Ware zurück, um das Gewicht zu überprüfen. Tatsächlich liegt dieses unter den aufgedruckten zwei Pfunden. Die Wachsame bietet mir an, ein intaktes Netz zu holen. Das tue ich um so lieber, da ich auf diese Weise noch einmal mit der angemessenen Zahl Südfrüchte an der Holden in ihrem Verschlag vorbeiflanieren kann. Wir wünschen uns dabei zum Abschied unserer kurzen Geschäftsverbindung einen schönen Tag.