© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/15 / 27. November 2015

Die Vergangenheit läßt grüßen
AfD: Der Parteitag in Hannover muß sich unter dem Eindruck steigender Umfragewerte erneut um die Satzung kümmern
Marcus Schmidt

Die Freiluftsaison ist zu Ende. Nachdem die Alternative für Deutschland (AfD) in den zurückliegenden Wochen in Erfurt, Magdeburg, Berlin und anderen Städten vor allem mit ihren Demonstrationen gegen die Asylpolitik der Bundesregierung für Aufmerksamkeit gesorgt hat, kehrt die Partei am kommenden Wochenende zur Grundlagenarbeit in die Halle zurück. Auf ihrem 4. ordentlichen Bundesparteitag in Hannover geht es dann auch um ein Stück Vergangenheitsbewältigung. Denn auf der Tagesordnung steht – wieder einmal – die Satzung. 

Der Streit darum begleitet die Partei bereits seit ihrem Erfurter Bundesparteitag im März 2014. Dort hatte der damalige Parteichef Bernd Lucke erstmalig versucht, der AfD einen einzigen Vorsitzenden zu verordnen – und war auf massiven Widerstand gestoßen. Erst im Januar dieses Jahres setzte sich Lucke nach monatelangem Streit, der die Partei bereits damals hart an den Rand der Spaltung führte, auf dem Parteitag in Bremen durch. Die AfD-Mitglieder beschlossen eine neue Satzung, die statt wie bisher drei Sprecher an der Spitze, nach einer Übergangszeit, die am 1. Dezember abläuft und für die eine Doppelspitze vorgesehen war, nur einen Parteichef festschrieb. 

Doch Ende Juni kippte das Bundesschiedsgericht der AfD die neue Satzung wieder. Aus formalen Gründen: Der Bremer Parteitag hatte an zwei räumlich getrennten Veranstaltungsorten stattgefunden. Die beiden Säle waren über eine aufwendige – und vor allem kostspielige – Satellitenverbindung virtuell zu einem Veranstaltungsraum zusammengeschlossen worden. Doch diese Konstruktion hielt einer Überprüfung durch das Parteigericht nicht stand. Die im Grundgesetz sowie im Parteiengesetz „festgelegten Voraussetzungen über die demokratische Willensbildung in Parteiorganen“ seien nicht erfüllt worden, urteilten die AfD-Richter. Es müsse daher noch einmal über die Satzung abgestimmt werden. 

Das soll nun in Hannover geschehen. Gleichzeitig gilt es das Versprechen Frauke Petrys nach ihrer Wahl zur Parteichefin Anfang Juli in Essen einzulösen, die Satzung erneut zu ändern und die Doppelspitze dauerhaft festzuschreiben. Ansonsten wäre ihr laut Satzung zeitlich befristeter Co-Vorsitzender Jörg Meuthen ab 1. Dezember automatisch nur noch stellvertretender Parteichef.  

In der mittelfristigen Planung der AfD war für diesen Parteitag eigentlich eine Entscheidung über das immer noch ausstehende Programm geplant. Doch auf der Tagesordnung in Hannover sind davon neben der neuerlichen Abstimmung über die Satzung und die endgültige Anerkennung der Jungen Alternative als Nachwuchsorganisation der AfD lediglich einige Resolutionen zur Herbstoffensive übriggeblieben. Erst im kommenden Jahr will sich die AfD dann endlich, drei Jahre nach ihrer Gründung, ein vollwertiges Programm geben.

Doch auch ohne grundlegende inhaltliche Diskussionen wird der Parteitag am kommenden Wochenende, der erste übrigens ohne Beteiligung von Ex-AfD-Chef Bernd Lucke, unter besonderer Beobachtung stehen. In Hannover wird sich zeigen, wie sich der Abgang eines Großteils des wirtschaftsliberalen Flügels auf die Stimmung auswirken wird. Schon jetzt haben sich die Gewichte innerhalb der Partei spürbar verschoben. 

Erst in der vergangenen Woche hatte Thüringens AfD-Chef Björn Höcke auf der letzten Erfurter Großdemonstration in diesem Jahr „Fünf Grundsätze für Deutschland“ vorgestellt – und damit erneut für Aufsehen gesorgt. Ausgearbeitet hatte er die Punkte gemeinsam mit Parteivize Alexander Gauland, der sie in Magdeburg präsentierte. Diese fünf Punkte („Deutschland ist nicht verhandelbar. Deutschland ist kein Labor für Gesellschaftsexperimente. Deutschland muß selbstbestimmt handeln. Deutschland muß seine innere Freiheit zurückerlangen. Die Deutschen müssen mündig werden“) lesen sich wie ein vorweggenommenes konzentriertes politisches Grundsatzprogramm. Höcke und Gauland haben damit unmittelbar vor dem Parteitag programmatische Pflöcke eingeschlagen, die von der Bundespartei nicht einfach ignoriert werden können. Nicht alle in der Partei sind mit dem Vorpreschen Höckes und Gaulands glücklich. Es wird in der niedersächsischen Landeshauptstadt daher interessant sein zu beobachten, wie die Führungsspitze um Frauke Petry und Jörg Meuthen reagieren wird.  

Wie sehr die AfD, die in den Umfragen deutschlandweit zwischen acht und zehn Prozent steht, mittlerweile als politischer Faktor gewertet wird, machen die angekündigten Proteste deutlich. Zu einer Gegendemonstration rufen unter dem Motto „Nationalismus ist keine Alternative! Bunt statt braun“ nicht nur Linksextremisten auf, sondern unter anderem auch der Deutsche Gewerkschaftsbund und die örtliche SPD. So gesehen findet zumindest indirekt ein Teil des AfD-Parteitages dann doch wieder auf der Straße statt.