© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/15 / 27. November 2015

„Reine Erpressung, nichts anderes“
Fusionsfieber: Der Kampf um Kaiser‘s-Tengelmann steht für einen derzeitigen Trend in der deutschen Wirtschaft
Christian Schreiber

Deutsche Ministerien stehen in dem Ruf, daß in ihnen eine vornehme Stille herrsche. Vorige Woche ging es aber hitzig zur Sache. Ohrenzeugen berichten, daß Alain Caparros ziemlich laut geworden sei. Das lag aber nicht daran, daß dem in Algier geborenen Franzosen vielleicht das Temperament durchgegangen ist. Der 59jährige ist seit September sogar deutscher Staatsbürger. Der Mustermigrant hat in Saarbrücken studiert und steht seit 1999 in deutschen Einzelhandelsdiensten – erst für Aldi, seit 2004 für Rewe. 2006 stieg Caparros zum Vorstandschef der Rewe Group (Rewe, Penny, Toom, B1) auf.

Niedrigzins befeuert Unternehmensaufkäufe

Doch der mit 37,2 Milliarden Euro, 10.200 Filialen und 228.000 Beschäftigten zweitgrößte deutsche Lebensmittelhändler führt einen erbitterten Streit mit dem Konkurrenten Edeka (Edeka, Reichelt, Netto Marken-Discount, NP-Markt, Diska): Der Marktführer mit 12.000 Filialen und einem Umsatz von 46,4 Milliarden Euro will den defizitären Mitbewerber Kaiser’s-Tengelmann (450 Filialen) kaufen, allerdings hat das Bundeskartellamt die Fusion im April untersagt (JF 16/15).

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel könnte sich darüber hinwegsetzen. Ob der SPD-Politiker eine Ministererlaubnis im Sinne von Edeka erteilt, soll „zeitnah“ entscheiden werden. Der frühere Netto- und jetzige Edeka-Chef Markus Mosa sieht dazu keine Alternative. Bleibe es beim Nein, sei die Zerschlagung der Tengelmann-Gruppe mit ihren 450 Supermärkten die zwingende Konsequenz, warnt der 48jährige „Manager der Jahres 2014“. Mindestens der Hälfte der 16.000 Angestellten drohe dann die Arbeitslosigkeit. „Eine reine Erpressung, nichts anderes“, zürnte Caparros in Richtung seines Intimfeindes Mosa. Die Abneigung der beiden Wirtschaftsbosse hat wechselseitige Gründe, denn auch Rewe würde sich gerne mit dem bekannten Markennamen schmücken. Zudem bemühen sich die große Schweizer Migros-Gruppe und die eher kleine Nürnberger Norma-Stiftung um Kaiser’s-Tengelmann.

Der Kampf um die deutschen Supermärkte ist aber nur ein Beispiel des derzeitigen Fusionsbooms. Die Unternehmensberatung Ernst & Young (EY) konstatiert in ihrem aktuellen „Capital Confidence Barometer“: 56 Prozent der Firmen in Deutschland wollen in den kommenden zwölf Monaten zukaufen. 95 Prozent der Unternehmen erwarten, daß es mit der globalen Wirtschaft bergauf geht. Als Hauptgrund neben der guten Auftragslage gilt auch der Fakt, daß Firmen aufgrund des geringen Zinsniveaus derzeit sehr günstig an Kredite kommen. Mehr als 26 Prozent der Befragten sind demnach bereit, mehr als 250 Millionen Euro für die Übernahme eines Konkurrenten auszugeben. Allerdings: „Nur weil es Übernahmepläne gibt, heißt das nicht immer automatisch, daß diese auch zum Abschluß kommen“, schränkt EY-Experte Alexander Kron ein. Das könnte neben Edeka dem Immobilien-Unternehmen Vonovia blühen. Zum 1. Januar 2016 wird zwar die IVV-Immobiliengruppe übernommen und so die Marktführerschaft bei Wohneigentum-, Haus- und Drittverwaltung ausgebaut.

 Doch bei IVV handelt es sich um einen vergleichsweise kleinen Fisch. Den ganz großen Fang plant der Dax-Aufsteiger für das kommende Jahr: die Übernahme des Konkurrenten Deutsche Wohnen. Mit einem Bestand von 367.000 eigenen Wohnungen ist Vonovia schon jetzt der größte Immobilienbesitzer in Deutschland. Mit dann 510.000 Wohnungen würde Vonovia zum fast uneingeschränkten Marktführer in Deutschland. 

Die Vonovia-Aktionäre werden am 30. November wohl einer Kapitalerhöhung zur Finanzierung der Übernahme zustimmen – allerdings steht die Zustimmung des Kartellsamts noch aus. Und der Deutsche Mieterbund warnt: „Bei einer Übernahme der Deutschen Wohnen durch die Vonovia könnte eine marktbeherrschende Stellung im unteren Mietpreis-Segment entstehen.“ Vonovia-Finanzvorstand Stefan Kersten räumte ein, daß diese Bedenken den Abschluß verzögern könnten. Zudem könnte das Kartellamt den Verkauf einiger Wohnungen in Berlin erzwingen, um eine lokale marktbeherrschende Stellung nach der Fusion zu verhindern. Kartellamtspräsident Andreas Mundt ist kein genereller Gegner von Fusionen ist. Es gehe ihm lediglich darum, die Gesetze der sozialen Marktwirtschaft zu beachten und die Interessen der Verbraucher zu wahren.

Kaum Wettbewerb auf dem Internet- und Telefonmarkt

Eine andere höchst umstrittene Elefantenhochzeit hatten die Bonner Behörde und die ebenfalls zuständige EU-Kommission vor zwei Jahren allerdings anstandslos genehmigt: die Übernahme des Netzbetreibers Kabel Deutschland (KD) durch den britischen Mobilfunkmulti Vodafone (JF 33/13), der 2001 für Schlagzeilen sorgte, als der deutsche Konkurrent Mannesmann feindlich übernommen wurde. Das deutsche Breitbandkabelnetz wurde in den 1980er Jahren von der Bundespost aufgebaut und mußte ab 2000 aus kartellrechtlichen Gründen von der Telekom verkauft werden. Der Löwenanteil ging an US-Investoren, die KD 2010 schließlich an die Börse brachten. Mit der Vodafone-Übernahme verschwindet nicht nur die Marke Kabel Deutschland, sondern auch ein ernstzunehmender Wettbewerber beim Internetzugang.

Verschärft wird die Misere durch die Fusion von E-Plus (Ableger der niederländischen KPN) und O2, der deutschen Tochter das einstigen spanischen Staatsunternehmens Telefónica. Damit der daraus entstandene derzeit größte deutsche Mobilfunkanbieter nicht zu marktmächtig wird, halten die Wettbewerbshüter ein formales Feigenblatt bereit: Der Mobilfunkvermarkter Drillisch erhält 300 Telefónica-Läden und in den kommenden Jahren zusätzlich 20 Prozent der O2-Netzkapazität. Die Marke E-Plus veschwindet hingegen von der Bildfläche. Den Ruf des Billiganbieters wollen die Spanier Drillisch mit seinen Untermarken (DeutschlandSIM, Smartmobil, Yourfone & Co.) überlassen.

Die EY-Studie prognostiziert, daß der Fusions-Boom ein Phänomen auf Zeit ist. Zwar sei es für die Unternehmen derzeit leicht, an billiges Geld zu kommen, allerdings seien die Preise für Übernahmen in den vergangenen Monaten stark nach oben gegangen, was am Ende den einen oder anderen Deal wieder unattraktiv mache.

Studie „EY Capital Confidence Barometer“:  www.ey.com