© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/15 / 27. November 2015

Revolution der Kriegsführung
Unbemannte Waffensysteme: In der Luft ist Robotik Standard, zu Land steckt sie in den Kinderschuhen
Hans Brandlberger

In der beklemmenden Zukunftsgesellschaft, die Ray Bradbury in seinem 1953 erschienenen und immer noch erschreckend aktuellen Roman „Fahrenheit 451“ entwarf, ist die Rolle des Scharfrichters einem mechanischen Hund übertragen. Dieser macht die Delinquenten dank feiner Sensorik anhand ihres Geruchs ausfindig und liquidiert sie mit einer Giftinjektion. Ganz objektiv und unabhängig von Manipulationen seiner Auftraggeber scheint aber auch dieser Roboter nicht handeln zu können. Als er die Spur des Protagonisten Guy Montag verliert, wird er auf einen arglosen Spaziergänger losgelassen, um der Öffentlichkeit an den Bildschirmen daheim einen Fahndungserfolg präsentieren zu können.

Es sind Klassiker wie dieser von Bradbury oder die modernere Matrix-Trilogie, die eine Art Urangst geprägt haben, Maschinen, die eigentlich zum Nutzen der Menschen erschaffen wurden, könnten diesen nicht nur überlegen werden, sondern sich auch gegen sie wenden. 

Wettlauf um beste Technik  ist in vollem Gange 

Nicht zuletzt sind es Militär, Nachrichtendienste und auch Polizeikräfte, die neue technische Möglichkeiten der Robotik anstießen oder adaptierten, um Überlegenheit gegenüber potentiellen Gegnern zu gewinnen oder angesichts deren Anstrengungen auf diesem Gebiet nicht ins Hintertreffen zu geraten. Ferngesteuerte oder gar teilautonome Systeme beschäftigen sie, anders als es die aktuelle Debatte um Kampfdrohnen vermuten läßt, bereits seit knapp einem Jahrhundert (siehe Infokasten). 

Eine zentrale Rolle in der modernen Kriegsführung konnten unbemannte Systeme aber erst übernehmen, als  Fortschritte der Informationstechnologie sowie satellitengestützte Navigationssysteme es erlaubten, physikalische Schranken aufzuheben. 

Technisch ist es heute keine größere Herausforderung mehr, global einsetzbare Aufklärungsplattformen von jedem beliebigen Ort der Welt aus zu steuern, an den sie auch ihre Daten in Echtzeit übermitteln. Sie können Terrain mit hochauflösenden Kameras oder zu Bildern verarbeiteten Radarsignalen überwachen und den Funkverkehr ihres Einsatzgebietes erfassen. Ob sie über Waffen verfügen, mit denen sie ein erkanntes Ziel sogleich bekämpfen können, ist kein technologisches Problem, sondern eine Frage der Einsatzgrundsätze der Betreibernation.

Mindestens 45 Staaten verfügen heute über unbemannte Luftfahrzeuge oder verfolgen Programme zu ihrer Entwicklung und Einführung. Das Know-how für Systeme, die in größerer Höhe und mit höheren Reichweiten operieren können, ist im wesentlichen noch in den USA und Israel gebündelt. Dieser Vorsprung dürfte aber bereits im nächsten Jahrzehnt gegenüber Ländern wie China, Rußland, Indien und vielleicht auch einigen europäischen Nationen abgeschmolzen sein.

Im internationalen Vergleich sind die Fähigkeiten der Bundeswehr auf dem Gebiet der luftgestützten Aufklärung durch unbemannte Systeme derzeit eher Mittelmaß. Als ihre leistungsstärkste Drohne ist „Heron 1“ anzusehen, sie wird seit Anfang 2010 in Afghanistan eingesetzt. In der Bundeswehr ist sie das einzige ferngesteuerte Fluggerät aus der Kategorie „Mittlere Höhe und hohe Dauerleistung“ (Medium Altitude Long Endurance; MALE), und betrieben wird dieses auch nur auf der Grundlage eines unlängst bis 2016 verlängerten Leasingvertrages. Hersteller ist das israelische Unternehmen IAI, das als deutschen Partner ein Joint Venture aus Airbus und Rheinmetall mit im Boot hat. 

Eine Nachfolgelösung wird seit längerem vorbereitet. Als Alternativen, diesmal für eine Kauflösung, stehen das „Heron-1“-Nachfolgemodell „Heron TP“ sowie die vom US-Unternehmen General Atomics angebotene „Predator CPB“, deren Entwicklung aber nicht vor 2017 abgeschlossen sein wird, zur Auswahl. Ob diese Drohne eine Bewaffnung mit Raketen erhält, ist noch offen.

Dieses Modell dient aber lediglich als „Zwischenlösung“, bis ein Produkt europäischen Ursprungs zur Verfügung steht. Frankreich, Deutschland und Italien bekundeten die Absicht, ein solches im Schulterschluß auf den Weg zu bringen. Auf industrieller Seite treten Airbus, Dassault Aviation und Alenia Aermacchi gemeinsam an. Bis eine „europäische Drohne“ von Streitkräften genutzt werden kann, dürften aber mindestens zehn Jahre vergehen.

Die Einführung unbemannter fliegender Systeme, die in mittleren und großen Höhen operieren, wird in Deutschland weniger durch anspruchsvolle militärische Forderungen, sondern durch die Frage erschwert, wie sie risikolos in den zivilen Luftraum eingebunden werden können. Dieses Problem brachte das Vorhaben „Euro Hawk“ (auf Grundlage des vom US-Konzern Northrop Grumman für große Höhen und lange Stehzeiten in der Luft entwickelten „Global Hawk“) bis auf weiteres zum Erliegen, und es veranlaßte die Bundesregierung dazu, den Kauf der von zahlreichen Nationen betriebenen Drohne „Predator B“ nicht weiterzuverfolgen. 

Eine glaubwürdige Lösung, wie Drohnen im Fall, daß die Fernsteuerung ausfällt, andere Luftfahrzeuge erkennen und ihnen automatisch ausweichen können, ist weltweit nicht in Sicht. Mehr noch bewegt aber Militärs die Frage, wie Fernsteuerung und Datenübermittlung vor feindlichem Zugriff zu schützen sind. Vom Wettlauf zwischen immer neuen Angriffstechniken und Schutzmechanismen, der den Cyberraum insgesamt kennzeichnet, sind Drohnen nicht ausgenommen.

Unbemannte fliegende Systeme werden nicht exklusiv von der Luftwaffe genutzt. So ist die Deutsche Marine auf der Suche nach einem ferngesteuerten Drehflügler, der von der Korvette K130 aus zu Aufklärungsflügen starten kann. Als Favorit erscheint hier der „Camcopter S-100“ des österreichischen Mittelständlers Schiebel. Er bewährte sich sowohl in zivilen als auch militärischen Versionen  und wird beispielsweise von der OSZE zur Überwachung des ostukrainischen Konfliktgebiets eingesetzt.

Für die Aufklärung im Nah- und Nächstbereich betreibt das Deutsche Heer die Systeme „Kleinfluggerät Zielortung“ (KZO) aus dem Hause Rheinmetall, „Luna“ und „Aladin“ (beide vom bayerischen Mittelständler EMT) sowie „Mikado“ des Herstellers AirRobot. Hier sind in den nächsten Jahren umfangreiche Modernisierung oder Neuanschaffungen erforderlich, um insbesondere hinsichtlich der Sensorik, der Datenübertragung, der Autonomie und der Flugdauer Verbesserungen zu erzielen. Alle diese Systeme muten, nicht anders als ihre zahlreichen Äquivalente, die in anderen Streitkräften betrieben werden, wie Modellflugzeuge an, die militärisch gehärtet und mit besonderer Sensorik ausgestattet sind. 

Tatsächlich erscheinen weltweit immer wieder neue Anbieter militärischer Kleindrohnen auf dem Markt, die bislang für dieses Freizeitsegment produzierten. Die Technologie für unbemanntes Fluggerät in dieser Dimensionierung ist ohne größeren Aufwand zugänglich und leicht beherrschbar. Es dürfte daher nur eine Frage der Zeit sein, bis sie auch von Terroristen etwa für Eingriffe in den Luftverkehr in Flughafennähe oder Attacken auf kritische Infrastrukturen oder Menschenansammlungen genutzt wird.

Während die physikalischen Voraussetzungen für den Betrieb von unbemannten Systemen, ob ferngesteuert oder autonom, im Luftraum günstig sind, grenzen die erschwerten Bedingungen über und vor allem unter Wasser wie auch an Land die Möglichkeiten einer militärischen Nutzung deutlich ein. 

Bereits ausgereifte Systeme zum maritimen Einsatz sind daher rar gesät, der Fokus liegt etwa auf Robotern zur Entschärfung bzw. Zerstörung von Minen und Über- wie Unterwasserbooten zur Überwachung von Hafenanlagen oder des küstennahen Raums. 

Noch rudimentärer ist der Einsatz von Robotik an Land. Er erschöpft sich derzeit im Einsatz von kleinen Systemen zur Detektion von Gefahrstoffen oder Entschärfung von Sprengsätzen, die zivil wie militärisch genutzt werden. Ferngesteuerte Fahrzeuge, die an der stets am meisten gefährdeten Spitze eines Konvois fahren, sind technisch bereits möglich, stehen aber nicht auf der Prioritätenliste des Militärs. Zur Unterstützung des mit immer mehr Gepäck beladenen Infanteristen wie auch zur Erkundung testen die amerikanischen Streitkräfte Laufroboter der Google-Tochter Boston Dynamics.

Noch keine komplexen Interaktionen mit Menschen 

Amerikanische und israelische, aber auch deutsche Firmen arbeiten laut Marcel Dickow an „Prototypen für ferngesteuerte und teilautonome Ketten- und Radfahrzeuge“. Jede Gattung sei vertreten – „vom autonomen Schützenpanzer bis zum Kettenroboter, der mit Maschinengewehr oder Granatwerfer ausgestattet ist und die Größe eines Einkaufswagens hat“, berichtet der Sicherheitspolitikexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer Studie. Allgemein seien diese Systeme „mittlerweile in der Lage, einem Soldaten automatisch zu folgen“. „Komplexere Interaktionen mit dem Menschen“ würden sie aber noch „überfordern“, so Dickow abschließend.

Autonom agierende Systeme mit komplexem Aufgabenspektrum sind demnach auf dem Land bis auf weiteres ferne Zukunftsmusik, da die Vielzahl möglicher Hindernisse und Lageänderungen durch eine Programmierung vorab kaum zu erfassen ist und selbst lernende Systeme im Sinne der Künstlichen Intelligenz weit jenseits der heutigen technologischen Möglichkeiten liegen.





Historie der Militärrobotik

Im Zentrum der Militärrobotik stand zunächst die Frage, wie sich auf dem Land oder auch unter Wasser große Mengen von Explosivstoffen an lohnende und daher gut gesicherte Ziele heranbringen ließen, ohne dabei eigene Kräfte zu gefährden. Jahrzehntelang waren diese Bemühungen jedoch wenig fruchtbar, da die Systeme über eine geringe Reichweite verfügten und blind für ihre Umwelt, störanfällig sowie schwer zu steuern waren. Der Schritt vom bloßen Experimentieren hin zur Bewährung im Einsatz erfolgte erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Zur  Aufklärung über der Sowjetunion setzten die USA unbemannte Luftfahrzeuge ein. Auf der taktischen Ebene wurde der Beginn des US-Militäreinsatzes in Vietnam zum Motor der Bemühungen, unbemannte Systeme nicht nur zur Aufklärung – insbesondere zur Artillerieunterstützung – einzusetzen, sondern auch zu bewaffnen. Kampfdrohnen sind somit kein Phänomen jüngeren Datums. Die US-Streitkräfte nutzten sie bereits, als sie noch von einem „klassischen“ Kriegsbild ausgehen mußten und asymmetrische Szenarien allenfalls am Rande bedacht wurden.