© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/15 / 27. November 2015

Er war sich oft fremd
Erfolg und Selbstzweifel: Eine Ausstellung im Münchner Literaturhaus widmet sich dem Leben des Schriftstellers Erich Kästner
Felix Dirsch

Das Münchner Literaturhaus versucht schon seit geraumer Zeit, bekannte Schriftsteller einem größeren Publikum näherzubringen. Nachdem zuletzt Ausstellungen über Robert Musil und Stefan Zweig zu sehen waren, werden gegenwärtig das Leben und Werk Erich Kästners thematisiert. Der hauptsächlich als Kinderbuchautor populär gewordene Literat fand von Mitte der 1940er Jahre bis zu seinem Tod 1974 in der bayerischen Landeshauptstadt seinen Lebensmittelpunkt. Die Schau zeigt unveröffentlichte Manuskripte, Notizen, Briefe, Zeitungs- und Filmausschnitte, Fotos.

Das Literaturhaus ist, da nur ein größerer Raum für die Präsentation zur Verfügung steht, in seinen Möglichkeiten begrenzt. Jedoch zwingt dieser Umstand zur Konzentration auf das Prägnanteste, was sich oft als Vorteil erweist, auch mit Blick auf Kästner.

Begonnen hat alles 1899 in Dresden. Als Sohn eines Handwerkerehepaares geboren, erwies sich Kästner als guter Schüler und besuchte schon mit 15 Jahren das Lehrerseminar. Diese Ausbildung brach er jedoch ab. Die Beziehung zu seinen Eltern war ihm lebenslang wichtig. Die Briefe an die Mutter, die in einer der Vitrinen zu sehen sind, belegen das. Der enge Kontakt zu den Eltern dürfte einer der Gründe für seinen später viel diskutierten Entschluß gewesen sein, während der NS-Jahre nicht zu emigrieren.

Um den Militärdienst kam er aufgrund einer Herzerkrankung herum. Nach einem geisteswissenschaftlichen Studium in Leipzig arbeitete er als Journalist und begann in den späten 1920er Jahren seine Karriere als erfolgreicher Autor. Der Durchbruch gelang ihm vor allem aufgrund der bis heute viel gelesenen Bücher „Emil und die Detektive“, „Das doppelte Lottchen“, „Das fliegende Klassenzimmer“ und „Pünktchen und Anton“, denen er später noch andere Titel hinzufügte, so die 1957 erschienene autobiographische Darstellung „Als ich ein kleiner Junge war“. Die Zeit von 1927 bis 1933 war die produktivste Phase in Kästners Biographie.

Wie viele andere Autoren, etwa Alfred Döblin, entdeckte Kästner das weite Feld des Großstadtlebens als Hintergrund für seine Veröffentlichungen. Dieses Sujet bot sich für kulturkritische Reflexionen geradezu an. In „Emil und die Detektive“ tauchen selbstbewußte Kinder auf, die dennoch – wie viele Zeitgenossen – einen entwurzelten Eindruck hinterlassen. Ein damals beliebtes Motiv kommt darin zum Ausdruck: die Großstadtkriminalität, die häufig als Ergebnis fehlender oder geschwächter Ligaturen begriffen wurde.

Wie für Millionen Deutsche stellte auch für Kästner das Jahr 1933 eine Zäsur dar. Mittlerweile in Berlin wohnend, erlebte er die Verbrennung seiner eigenen Bücher aus nächster Nähe. Kästner zählte nicht zu den politisch engagiertesten Vertretern seiner Zunft. Jedoch war ihm, der aus sozialdemokratischem Elternhaus stammte, das linke Milieu der Reichshauptstadt nicht fremd. Das registrierten die Opponenten auf seiten der Nationalsozialisten und der Rechten.

Freilich galt er nicht als besonders gefährlicher Regimegegner. Kompromisse ermöglichten ihm, unter Pseudonym zu veröffentlichen. Ob der „Selbstverlust“ unter der NS-Herrschaft so groß war, wie er später angab, ist zweifelhaft. Erst ab 1943 erließen die Machthaber ein Totalverbot seiner Schriften.

Nach dem Krieg arbeitete er als Redakteur einer amerikanischen Besatzungszeitschrift, für das Kabarett und den Hörfunk und engagierte sich im PEN-Zentrum. Er hielt politische Reden gegen die Wiederbewaffnung und später gegen den Vietnamkrieg. In der Schulpolitik sprach er sich für nachhaltige Reformen aus. 1956 veröffentlichte er die im Jahr darauf in den Münchner Kammerspielen uraufgeführte Komödie „Die Schule der Diktatoren“. Den angekündigten Roman über die NS-Zeit – er hatte von 1933 bis 1945 viele Tagebuchnotizen angefertigt – brachte er jedoch nicht zustande.

Die Initiatoren der Ausstellung nähern sich Kästners Œuvre vornehmlich über die diversen Romanverfilmungen. So werden Ausschnitte gezeigt, in denen der Autor nicht selten selbst vorkommt.

Ein nicht unwesentliches Kapitel ist Kästners Verhältnis zu Frauen. Obwohl jahrzehntelang mit der Dramaturgin Luiselotte Enderle liiert, der inoffiziellen „Frau Kästner“, erregte er immer wieder durch Affären im Münchner Nachtleben Aufsehen. Dort lernte er auch die junge Schauspielschülerin Friedhilde Siebert kennen, mit der er den 1957 geborenen, einzigen Sohn Thomas zeugte. Das ungeklärt-labile Beziehungsgeflecht war wohl hauptsächlich für seinen sich stetig verschlechternden Gesundheitszustand verantwortlich. 

Bis zu seinem Lebensende begleiteten ihn Identitätskrisen, die in seinen Texten eine so wichtige Rolle spielen. Ob er, der sich selber stets fremd war, sich endlich gefunden hatte? Darauf kann die empfehlenswerte Ausstellung erwartungsgemäß keine Antwort geben. Die Lebensrätsel Kästners lassen sich nicht erhellen.

Die Ausstellung „Gestatten, Kästner!“ ist bis zum 14. Februar 2016 im Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, täglich von 11 bis 19 Uhr, Sa./So. von 10 bis 18 Uhr, zu sehen. Das reich bebilderte Begleitheft kostet 6 Euro. Telefon: 089 / 29 19 34 - 0  www.literaturhaus-muenchen.de