© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/15 / 27. November 2015

„Das ist eine ganz neue Seite an mir“
Ausnahmestimme: Die englische Sängerin Adele hat ihr drittes Album veröffentlicht
Elena Hickman

Der letzte Ton ist gerade verklungen. „Das hab ich noch nie in meinem Leben gemacht“, gesteht Adele verschämt in die Stille und ergänzt mit einem halben Lächeln, „das ist eine ganz neue Seite an mir.“ Die Sängerin hat gerade das Video zu ihrer zweiten Single-Auskopplung fertig gedreht (eine Live-Aufnahme des Lieds „When we were young“) und bezieht sich eigentlich auf eine ausschweifende Bewegung mit dem Mikrofon. Aber irgendwie scheint Adeles Aussage auch auf ihre Musik zu passen – und auf sie selbst.

Denn seit dem durchschlagenden Erfolg des Albums „21“ hat sich das Leben der 27jährigen stark verändert. Zu hören ist diese Veränderung und diese „neue Seite“ in den elf Liedern ihrer neuen Platte „25“, die vergangenen Freitag erschienen ist. Das Jahr, in dem sie 25 wurde, sei ein „Wendepunkt“ in ihrem Leben gewesen, sagt Adele: „‘25’ handelt davon, die Person kennenzulernen, zu der ich mich entwickelt habe – ohne, daß ich es realisierte.“

„25“ klingt zwar gewohnt melancholisch, behandelt aber nicht explizit Trennungen, wie das bei „21“ der Fall war. Nur das Lied „Send my love (to your new lover)“ ist an einen Ex-Freund gerichtet. Aber selbst mit dieser zerbrochenen Beziehung scheint Adele gedanklich abgeschlossen zu haben. 

Die Sängerin kommt im neuen Album mit sich ins reine und schaut nach vorne. Wo die Engländerin in ihrem Video zu „Rolling in the deep“ (2011) noch von abgedeckten Möbeln umgeben war, spricht das Video zu „Hello“ eine ganz andere Sprache: Adele betritt ein Haus und zieht entschlossen die Laken von der Einrichtung herunter.

„Meine Karriere ist mein Hobby“

Für viele andere Künstler würde eine so ausgedehnte Pause zwischen Alben das Ende der Karriere bedeuten. Kein Problem für Adele. Bereits für ihr Album „21“ sammelte sie so ziemlich jeden Preis ein, den es gibt: Sieben Grammys, zwei Brit-Awards, drei AMAs, zwei Echos, vier MTV Awards, den Friedensnobelpreis .... naja, den nicht, aber es waren viele! Wochenlang war ihre Power-Stimme auf allen Radiosendern zu hören. Und diese tiefe und unverwechselbare Stimme ist den Menschen in Erinnerung geblieben. In den ersten 48 Stunden nach der Veröffentlichung von „Hello“ wurde das Video bei Youtube über 50 Millionen Mal angeklickt und setzte damit einen neuen Rekord – inzwischen liegt die Zahl bei fast 500 Millionen.

Als Kind hätte sich Adele Laurie Blue Adkins MBE (ein Ehrentitel, der ihr vom Königshaus verliehen wurde) solche Erfolge nie träumen lassen. Sie wuchs als Einzelkind bei ihrer Mutter in Tottenham auf, einem leicht heruntergekommenen Ortsteil in London. In der britischen Hauptstadt besuchte Adele auch die BRIT School for Performing Arts und bekam 2006 einen Plattenvertrag bei XL Recordings, nachdem ein Freund Demoaufnahmen von ihr ins Internet gestellt hatte. Adele selbst wollte eigentlich nie professionelle Sängerin werden – und in gewisser Weise will sie das heute immer noch nicht sein. „Meine Karriere ist nicht mein Leben“, gestand sie vor kurzem dem Rolling Stone im Interview, „es ist mein Hobby“.

Ein Grund für die lange Pause zwischen den Alben ist auch eine Operation an den Stimmbändern (ihre Stimme brach immer wieder weg), der sich Adele 2011 unterziehen mußte. Ihre Stimme hat sich dadurch leicht verändert: Sie hat etwas von ihrer Rauhheit verloren, dafür klingen die Töne klarer, reiner, und sie konnte vier Noten zu ihrem Stimmumfang ergänzen. Die Veränderung wird besonders in dem Lied „All I ask“ deutlich, wo sie so richtig mit ihrer Stimmgewalt angibt. „Ich hab vorher nie so gesungen“, gesteht Adele dem Rolling Stone, „nie so hoch“.

Auf dem Album „25“ singt Adele aber nicht nur höhere Töne. Sie zeigt sich auch von ihrer verführerischen Seite in „I miss you“. Auf leicht nachgezogene Drums erklingen die Zeilen „Treat me soft, but touch me cruel“. Ganz im Gegensatz dazu steht das letzte Lied des Albums „Sweetest Devotion“ – eine für Adele ungewöhnlich fröhliche Melodie.

In diesem Stück kommt aber auch besonders gut zur Geltung, daß nicht alle Texte auf dem Album eine kreative Neuschöpfung sind. Zeilen wie „The sweetest devotion, hitting me like an explosion“ sind weniger der fertige Diamant und vielleicht mehr der letzte Rest Kohle, der noch irgendwo herumlag. 

Nach der Operation kam sie nur kurz in der Öffentlichkeit zum Vorschein – um sich ihren Oscar für das Bond-Lied „Skyfall“ abzuholen. Dann verschwand sie wieder, ging eine Beziehung zu Simon Konecki ein und bekam ihren Sohn Angelo. Für ihn hat sie auch das Lied „Remedy“ geschrieben. Eine wunderschöne Ballade, bei der es leichtfällt, sich vorzustellen, wie Adele abends am Bett ihres Sohnes steht und ihm die Zeilen vorsingt. Für Angelo hat sie nicht nur das Rauchen und ihren exzessiven Alkoholkonsum aufgegeben – sie macht inzwischen auch Sport und ernährt sich gesünder, um „mit ihm mithalten zu können“, wie sie erklärt. Ohne Angelo hätte sie das wohl nicht getan. Ihre Körpermaße waren nie die eines Unterwäschemodels, und viele kritisierten sie, weil sie nichts dagegen unternahm – unter anderem Karl Lagerfeld. Doch Adele hat das nicht gekümmert. Für sie ging es immer nur um die Musik. Und die ist – trotz aller Veränderungen der letzten Jahre – immer noch atemberaubend und absolut hörenswert.

Adele 25 Xl/Beggars Group (Indigo) 2015

 www.adele.com