© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/15 / 27. November 2015

Moskaus mythische Geister-Soldaten
65 Jahre Speznas – Die russischen „Special Forces“ für pikante Aufgaben jenseits der Grenzen
Jürgen W. Schmidt

Speznas – aktuell sind die legendären russischen Schattenkämpfer sogar als Geheimwaffe gegen den IS im syrischen Hinterland im Gespräch. Seit 2013 werden die Speznaseinheiten in Rußland offiziell, ganz ähnlich wie in den USA, als „Kräfte für Spezielle Operationen“ (russ. „SSO“) bezeichnet, und sie können bei Bedarf auch im Ausland eingesetzt werden. Eine erste eindrucksvolle Probe ihrer Durchsetzungsfähigkeit zeigten sie 2014 bei der Besetzung der Krim.

Dort brachten ab dem 27. Februar 2014 sogenannte „Kämpfer der Selbstverteidigung der Krim“ das Parlamentsgebäude und alle Verwaltungsgebäude der Krim unter ihre Kontrolle, ebenso alle regionalen Garnisonen des ukrainischen Heeres. Jene so plötzlich auftauchenden „Kämpfer“ traten höflich, doch gleichzeitig sehr bestimmt auf. Es gab während der gesamten Besetzungsaktionen indessen keinen einzigen toten oder verwundeten ukrainischen Soldaten. Die Stoßtrupps kamen mit Mitteln der „Überredung“, notfalls mit einigen Warnschüssen oder Blendgranaten aus. 

Gekleidet waren die „Kämpfer“ in nagelneue Camouflageuniformen, die zwar über Klettstreifen für Nationalitätenkennzeichen und Rangabzeichen verfügten, die indes auf den Uniformen fehlten. Deshalb waren diese Soldaten von ihrer Nationalität her nicht zu erkennen. Kennern verrieten jedoch die von jenen „Kämpfern der Selbstverteidigung“ getragenen schußsicheren Westen vom russischen Typ 6B43 und ihre schallgedämpften, hochmodernen Scharfschützenwaffen, daß es sich hierbei um Elitesoldaten des russischen Speznas handelte. 

Jene kampfkräftigen Spezialverbände kommen immer dann zum Einsatz, wenn es sich um Terrorabwehr oder aber um verdeckte Operationen im Ausland handelt. Wenige Tage vor der Besetzung der Krim hatten Teile der insgesamt etwa 18.000 Mann umfassenden russischen Speznasverbände noch die Olympischen Spiele in Sotschi gegen mögliche Terrorangriffe abgesichert. Im kurzen russisch-georgischen Krieg von 2008 besetzten hingegen im kühnen Handstreich Speznaseinheiten den Hafen von Poti, versenkten eine Reihe georgischer Kriegsschiffe und zerschlugen die dortige Basis der georgischen Spezialtruppen. 

Sein Handwerk hat der heutige russische Speznas von 1980 bis 1989 in Afghanistan gründlich gelernt und sich ab 1994 im Kampf gegen islamische Terroristen und Separatisten im Nordkaukasus vervollkommnet. Die afghanischen „Duschmanen“ fürchteten seinerzeit von allen sowjetischen Soldaten am meisten die „Duchi“ (Geister) genannten Speznassoldaten, welche sich bei Nacht im Hinterland des Gegners tummelten, hier die Stäbe der Aufständischen sowie Waffenlager aushoben, Wege verminten und Gefangene machten. 

Allein 1987 gelang es den Speznaskämpfern bei jenen Streifzügen, etwa 350 feindliche Kämpfer gefangenzunehmen, von denen wiederum 160 bei Verhören wichtige Informationen preisgaben. Dem Speznasmajor Sergejew gelang es in Afghanistan, die erste amerikanische „Stinger“-Flugabwehrrakete für die Sowjets zu erbeuten. Im Kaukasus wurde ab 1994/95 der Speznas zuerst nur als gewöhnliche Infanterie in den Häuserkämpfen von Grosny verheizt, bevor sich die russische Generalität auf die Lehren des Afghanistankriegs besann. Als die Speznaseinheiten ihre gewohnten Taktiken anwenden durften, konnten sie sich schnell gegen die ebenso brutalen wie blutdürstigen tschetschenischen Rebelleneinheiten, welche von arabischen Freischärlern unterstützt wurden, durchsetzen. Wie aus Afghanistan gewohnt, durchzogen Speznassoldaten nächtens das unwegsame Gelände, legten Minensperren und Hinterhalte, sprengten Waffenlager und machten Gefangene. Wegen ihres Einsatzes im Kaukasus wurden bislang 39 Speznaskämpfer vom einfachen Soldaten bis hin zum Oberst zu „Helden Rußlands“ ernannt, ein gutes Drittel davon postum. 

Auch die russischen Seestreitkräfte verfügen über Speznaseinheiten. Derzeit wird in Rußland manches Erstaunliche über den Einsatz des Marinespeznas zu Sowjetzeiten bekannt. So lagen 1967 Speznaseinheiten an Bord sowjetischer U-Boote vor der israelischen Küste bereit, um blitzartig die israelischen Raffinerien auszuschalten. Nur der unerwartet schnelle Zusammenbruch der Ägypter und Syrer scheint hier einen bevorstehenden Einsatz des sowjetischen Speznas verhindert zu haben. 

Als das sowjetische U-Boot S-363 im Oktober 1981 in schwedischen Gewässern vor Karlskrona auf Grund lief („Whisky on the Rocks“), standen ebenfalls schon sowjetische Speznaseinheiten bereit, um das U-Boot notfalls auch gewaltsam aus schwedischen Gewässern zu entfernen. S-363 hatte nämlich Kernwaffen an Bord, welche man ebenso wie die streng geheimen militärischen Schlüsselmaschinen keinesfalls in westliche Hände fallen lassen wollte. 

Aufklärung und Diversion im Hinterland des Gegners

Seinen Ursprung verdankt der sowjetische Speznas einem Grundsatzbefehl des sowjetischen Verteidigungsministers Marschall Alexander Wassilewski vom 24. Oktober 1950. Demgemäß waren schleunigst Spezialeinheiten, bestimmt zu Aufklärungs- und Diversionshandlungen im Hinterland des Gegners, aufzustellen. Ein Hauptziel bildeten für den Speznas dabei jahrzehntelang Kernwaffeneinsatzmittel und Kernwaffenlager, die mit allen Mitteln auszuschalten waren. 

Sein persönliches Faible für den Speznas führte im Jahr 1957 zum Sturz des sich damals allmächtig dünkenden sowjetischen Verteidigungsministers Georgi Schukow. Weil er eine Speznasbrigade nach der andern aufstellen ließ und dabei Parteichef Nikita Chruschtschow zu unterrichten vergaß, witterte dieser Putschabsichten. Da Chruschtschow ernsthaft eine Speznasluftlandung im Kreml befürchtete, verschwand Marschall Schukow dauerhaft in der Versenkung.