© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Marschbefehl nach Syrien
Bundeswehr: Grünes Licht für Einsatz von Aufklärungs-Tornados im Nahen Osten
Marcus Schmidt

Der Titel der Vorlage, über die das Bundeskabinett am Dienstag zu befinden hatte, war denkbar sperrig. „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS“, lautete der entsprechende Tagesordnungspunkt der Kabinettssitzung. Dahinter verbirgt sich der größte aktuelle Auslandseinsatz der Bundeswehr – und vermutlich der gefährlichste. Bis zu 1.200 Soldaten sollen nach der als sicher geltenden Zustimmung des Bundestags Richtung Naher Osten in Marsch gesetzt werden. Auch wenn die Bundeswehr keine Kampftruppen ins Bürgerkriegsgebiet schickt und sich nicht direkt an Luftangriffen beteiligt, warnen Kritiker vor unkalkulierbaren Risiken des Einsatzes, für den bis zum Ende des kommenden Jahres zunächst 134 Millionen Euro eingeplant sind.

Die Bundesregierung führt zur Begründung des Marschbefehls die Solidarität mit Frankreich nach den Anschlägen von Paris an. Völkerrechtlich beruft sie sich dabei auf das Recht der kollektiven Selbstverteidigung „gemäß Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen“. Zum Einsatz kommen sollen neben Tankflugzeugen bis zu sechs Tornado-Kampfflugzeuge für Aufklärungsflüge. Zudem stellt die Bundeswehr im Kampf gegen den IS einen Aufklärungssatelliten zur Verfügung. Ziel des deutschen Beitrages ist es laut Verteidigungsministerium, die unübersichtliche Lage in Syrien zu beobachten. „Wo bewegen sich Flüchtlinge? Wo bewegt sich der IS? Wo bewegt sich jemand anderes? – Das ist Aufklärung“, sagte am Montag ein Sprecher. „Das ist eine sehr knappe Ressource, und davon kann man gerade in einer solchen Gemengelage nie genug haben.“

Daneben wird eine Fregatte zum Schutz des französischen Flugzeugträgers „Charles de Gaulle“ abgestellt. Dieser kreuzt derzeit im östlichen Mittelmeer um von dort aus mit seinen Kampfflugzeugen Ziele des IS anzugreifen. Das Mandat für den Bundeswehreinsatz ermöglicht aber auch einen Einsatz der Fregatte im Persischen Golf, dem Roten Meer und „angrenzenden Seegebieten“. Noch offen ist, von wo aus die deutschen Tornados starten werden. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sind zur Zeit Erkundungsmissionen unterwegs, die Gespräche über mögliche Standorte und Stationierungsfragen mit der Türkei, aber auch mit Jordanien führen.

Völliges Neuland betritt Deutschland mit der neuen Mission nicht. „Wir haben vor mehr als einem Jahr begonnen, im Nordirak Verantwortung zu übernehmen, indem wir die Peschmerga ausgerüstet haben mit Waffen und ausgebildet haben – übrigens ein Einsatz, der erfolgreich ist, denn den Peschmerga ist es gelungen, den IS nicht nur zu stoppen, sondern ihn zurückzuschlagen, Gebiete zurückzuerobern“, erinnerte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Dienstag im Deutschlandfunk.

Während die Grünen die neue Mission skeptisch sehen und ein fehlendes Einsatzziel beklagen, lehnt die Linksfraktion im Bundestag den Einsatz als „unverantwortlich“ ab. Scharfe Kritik kam auch von der AfD. Parteivize Ale-xander Gauland bezeichnete den Syrien-Einsatz als „kopflosen Irrsinn“, mit dem Deutschland in ein militärisches Abenteuer mit ungewissem Ausgang schliddere. „Dieser Einsatz wird das Leben deutscher Soldaten kosten, viele Milliarden Euro verschlingen, die Terrorgefahr in Deutschland erhöhen und den Flüchtlingsstrom nicht aufhalten. Am Ende wird die Erkenntnis stehen, daß man nichts erreicht hat“, warnte Gauland.

Bereits in der vergangenen Woche hatte die Bundesregierung die Weichen gestellt, um den Einsatz der Bundeswehr in Mali auszuweiten. Bis zu 650 deutsche Soldaten können dort künftig stationiert werden, um Frankreich für den Kampf gegen den IS zu entlasten. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), verdeutlichte die Brisanz dieses Einsatzes: „Niemand wird sich Illusionen machen, daß er weniger riskant sein wird als die Mission in Afghanistan“, sagte er der Nordwest-Zeitung.





Recce-Tornados

Nach den Plänen der Bundesregierung sollen über Syrien bis zu sechs Kampfflugzeuge vom Typ „Tornado“ für Aufklärungsflüge eingesetzt werden. Dafür werden die Jagdbomber mit speziellen Aufklärungssensoren (optisch und Infrarot) ausgerüstet, die sie in einem Behälter unter dem Rumpf mitführen. Seit 2009 verfügt die Luftwaffe über das digitale Aufklärungssystem „RecceLite“. Dadurch kann eine deutlich höhere Qualität der Aufklärungsergebnisse und eine verbesserte Auswertemöglichkeit erzielt werden. Die Aufklärungsergebnisse werden in Echtzeit an eine Bodenstation übertragen. 

Zwischen 2007 und 2010 waren Recce-Tornados auf dem Flughafen Mazar-e Sharif in Afghanistan zur Unterstützung der internationalen Schutztruppe Isaf stationiert. Die Luftwaffe verfügt derzeit noch über 85 der einst 357 an die Luftwaffe und die Marine zwischen 1981 und 1992 gelieferten Tornado-Kampfflugzeuge.