© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Das Nadelöhr droht zu verstopfen
Asylkrise: Der anhaltende Zustrom nach Deutschland überfordert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Christian Schreiber

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist das Nadelöhr der Republik. Die Mitarbeiter der Behörde entscheiden darüber, wer in Deutschland Asyl erhält. Angesichts des ungebrochenen Flüchtlingsstroms nach Deutschland eine nahezu nicht zu bewältigende Aufgabe.

Erst in der vergangenen Woche mußte BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise einräumen, daß es derzeit zu massiven zeitlichen Verzögerungen kommt. Ein Sprecher der Behörde sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, aufgrund des „sehr hohen Zugangs der vergangenen Monate konnten Termine zur Antragstellung teilweise nur mit Verzögerung vergeben werden“. Das Bundesamt habe sich dazu entschlossen, zunächst Termine nur für drei Monate zu vergeben. Die Behörde bestätigte, daß derzeit 328.000 unerledigte Asylanträge im Haus zur Entscheidung anstünden. Im Oktober wurden in Deutschland knapp 190.000 neueingereiste Flüchtlinge erfaßt, davon gingen beim BAMF aber nur 55.000 Asylanträge ein. Für den November werden neue Höchstzahlen erwartet. 

Schon Anfang November hatten die Personalräte der Behörde in einem offenen Brief Alarm geschlagen und auf die Zustände im BAMF aufmerksam gemacht. Der Verzicht auf eine Identitätsprüfung bei vielen Flüchtlingen sei mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht mehr vereinbar und öffne Terroristen Tür und Tor. Dazu komme eine viel zu schnelle Ausbildung der neuen Entscheider: „Praktikanten entschieden inzwischen nach nur wenigen Tagen über menschliche Schicksale“, heißt es in dem Schreiben der Personalräte.  Die Identität der Menschen werde inzwischen faktisch nicht mehr geprüft. Das führe dazu, daß „ein hoher Anteil von Asylsuchenden“  inzwischen eine falsche Identität angibt, um in Deutschland bleiben zu können und auch die Familie nachholen zu können“, heißt es weiter.

Weise wies die hausinterne Kritik zurück. Er verstehe zwar, daß die Belastungsgrenze sehr hoch sei, sagte er der Nachrichtenagentur dpa, aber fachlich sei an den Abläufen nichts zu kritisieren: „Daß die Verfahren von Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea und dem Irak beschleunigt wurden, hat das Bundesinnenministerium entschieden. Und daher bin ich ganz sicher, daß die Verfahren gesetzlich und nicht regelwidrig sind.“ Dabei hatte das Bundesamt bereits in den vergangenen Monaten Maßnahmen ergriffen, um die Abläufe zu beschleunigen. Offenkundig geht dieses aber zu Lasten der inneren Sicherheit: „Der Wegfall der Identitätsprüfung erleichtert das Einsickern von Kämpfern der Terrormiliz IS nach Mitteleuropa und stellt ein erhöhtes Gefahrenpotential dar“, warnten die Personalräte bereits am 11. November – zwei Tage vor den Anschlägen in Paris. 

Der Extremismusforscher Rudolf van Hüllen sieht die Behörde von ihrer Grundstruktur nicht auf eine Bearbeitung solcher Antragsmassen ausgelegt. „Das BAMF ist genau wie das Asylrecht auf Einzelfälle ausgelegt gewesen und nicht auf eine so hohe Zahl an Einzelfällen, wie wir die im Moment bewältigen müssen.“  Wenn Anhörungen wegfallen, bedeute dies, daß Personen, die unter Mißbrauch des Asylrechts einreisen, überhaupt nicht mehr auffallen würden, weil Widersprüche in ihrer Vita, in ihren Absichten und in ihrer Selbstdarstellung gar nicht mehr erhoben würden, erklärte van Hüllen weiter. 

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) kündigte angesichts dieser Zustände an, in absehbarer Zeit „zur Einzelfallprüfung zurückzukehren.“ Dafür soll das BAMF mit zusätzlichem Personal ausgestattet werden. Insgesamt arbeiten rund 3.000 Mitarbeiter bei der Behörde. 

In Zukunft soll die Anzahl auf 7.300 Stellen erhöht werden. Ein BAMF-Sprecher äußerte die Hoffnung, daß ein Personalaufbau dazu führen werde, daß Anfang nächsten Jahres die Anträge „deutlich zeitnaher als heute“ angenommen würden. Bis dahin dürften aber weit mehr als eine weitere Viertelmillion Flüchtlinge eingereist sein.  Ein guter Teil von ihnen dürfte gar nicht erst registriert werden.