© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Wo die schwarzen Fahnen wehen
Im Fadenkreuz: Seit den Anschlägen von Paris ist die Bedrohung durch Islamisten wieder offensichtlich geworden / Ein Überblick über deren Hochburgen in Deutschland

Bremen

In keinem anderen Bundesland leben prozentual mehr Salafisten als in Bremen. Die Behörden der Hansestadt gehen von rund 360 Personen aus. Jeder sechste radikale Islamist gilt als gewaltbereit.  Als Treffpunkte der Szene gelten bzw. galten das Islamische Kulturzentrum (IKZ) sowie der Kultur- und Familienverein (KuF) in Bremen-Gröpelingen mit der Moschee „Masjidu-l-Furqan“. 2014 wurde der KuF verboten, die Moschee geschlossen. 15 Erwachsene (und elf Kinder) waren aus Bremen nach Syrien ausgereist, vier sollen inzwischen wieder an die Weser zurückgekehrt sein.





Hamburg

In Hamburg beziffern Verfassungsschützer die Zahl der Salafisten auf etwa 460 Personen. Darunter seien auffallend viele junge Konvertiten unterschiedlichster Herkunft (wie zum Beispiel aus Polen). Nach aktuellem Stand sind 60 Islamisten aus dem Großraum der Hansestadt in den Krieg nach Syrien oder in den Irak aufgebrochen. 16 Islamisten wurden dieses Jahr an der Ausreise gehindert, etwa durch Entzug des Passes. Sorge bereitet den Behörden, daß Salafisten Propagandaveranstaltungen auch in Schulen sowie in Flüchtlingsunterkünften planten. 





Niedersachsen

Die Absage des Fußball-Länderspiels in Hannover am 17. November war der sicherlich spektakulärste, aber nicht der erste Fall, bei dem ein Groß-ereignis in Niedersachsen wegen Terrorgefahr abgesagt wurde. Bereits im Februar sorgte die kurzfristige Stornierung von Norddeutschlands größtem Karnevalsumzug in Braunschweig für Aufsehen. In beiden Fällen ist ein konkreter Hintergrund zwar bisher nicht bekanntgegeben worden, die Bedrohung soll jedoch akut gewesen sein. Einen Tag nach dem abgesagten Länderspiel von Hannover durchsuchte die Polizei eine Wohnung mutmaßlicher Islamisten im nahe gelegenen Hildesheim. Insgesamt sollen laut Sicherheitsbehörden etwa 60 gewaltbereite Salafisten aus Nieder-sachsen nach Syrien und in den Irak gegangen sein, um die IS-Terroristen zu unterstützen, etwa ein Drittel von ihnen sei inzwischen zurückgekehrt. Fast die Häfte dieser „Dschihad-Touristen“ stammt aus der Region Braunschweig/ Wolfsburg. „Die Szene ist dort weiterhin sehr stark“, so Niedersachsens Verfassungsschutz-Chefin Maren Brandenburger. Landesweit gab es im vergangenen Jahr 20 Ermittlungsverfahren aufgrund von islamistischem Terrorismus.

Mit Ayoub B. und Ebrahim H. B. stehen zwei Wolfsburger Rückkehrer zur Zeit in Celle vor Gericht (JF 34/15). Die Bundesanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer am vergangenen Montag für Ayoub B., der in Kämpfe verwickelt gewesen sein soll, unter anderem wegen Beihilfe zum Mord siebeneinhalb Jahre Haft. Sein Komplize Ebrahim H. B. soll vier Jahre und drei Monate hinter Gitter. Das Urteil wird für Montag erwartet.





Hessen

In Hessen fand der bisher einzige vollendete und tödliche islamistische Anschlag in Deutschland statt: Im März 2011 erschoß der Kosovo-Albaner Arid Uka (Foto) am Flughafen Frankfurt zwei US-Soldaten und verletzte zwei weitere. Der Täter hatte Kontakte zu salafistischen Predigern aus dem Großraum der Mainmetropole. 2012 verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main Uka zu lebenslanger Haft.

Im Mai nahm ein Spezialkommando in Oberursel den Deutsch-Türken Halil und die Türkin Senay D. fest. Die Ermittler stellten eine Rohrbombe, Zündstoff, wesentliche Teile eines Sturmgewehrs und scharfe Munition sicher. Offensichtlich konnte dadurch ein Anschlag, möglicherweise auf eine Radrenn-Großveranstaltung bei Frankfurt, verhindert werden. Der Integrationsbeauftragte der CDU im Hessischen Landtag, Ismail Tipi, hat daraufhin in der JUNGEN FREIHEIT ein Betätigungsverbot für Salafisten gefordert. „Auch der letzte muß jetzt merken, daß eigentlich der Salafismus in Deutschland für unsere innere Sicherheit und für unsere Gesellschaft die größte Bedrohung und auch die größte Gefahr ist. Jetzt ist die Zeit, daß die Politik handeln muß.“





Berlin

Spezialkommandos, Bombenentschärfer – insgesamt 200 Beamte waren im Einsatz, als die Berliner Polizei am vergangenen Donnerstag zwei mutmaßliche Islamisten festnahm. Gegen die beiden wird wegen des Verdachts auf Vorbereitung einer schweren, staatsgefährdenden Straftat ermittelt. 670 Salafisten soll es in der deutschen Hauptstadt geben,  die Hälfte von ihnen wird als militant eingeschätzt. 80 Personen stufen die Sicherheitsbehörden als Gefährder ein, darunter sind auch Tschetschenen mit Kampferfahrung aus Kaukasuskriegen.

Als Anwerber für IS-Terroristen in Berlin gilt unter anderem der radikale Prediger Abdelkader Daoud (Foto). Auch Deutschlands bekanntester IS-Kämpfer Denis Cuspert stammt aus der Hauptstadt. Er wurde mehrfach für tot erklärt, lebt aber möglicherweise noch.





Nordrhein-Westfalen

Jeder vierte Dschihadist in Deutschland kommt aus Nordrhein-Westfalen. Laut dem Düsseldorfer Innenministerium stehen etwa 40 islamistische Zellen oder Zirkel mit gut 2.250 Personen – davon 400 gewaltbereit – im Visier der Sicherheitsbehörden. Tendenz steigend. Ungebrochen ist auch die „Ausreisewelle“. Mindestens 30 Salafisten aus NRW wurden im syrisch-irakischen Bürgerkrieg getötet, mindestens acht von ihnen starben als Selbstmordattentäter, darunter Philip Bergner (Foto) aus der IS-Zelle von Dinslaken-Lohberg. Aus ihr ging auch der Syrien-Rückkehrer Nils D. hervor, dessen Prozeß im Januar 2016 beginnen soll. Mit insgesamt 22 bekannten Salafisten gilt die Stadt am Nieder-rhein als Islamisten-Hochburg. Weitere salafistische Schwerpunkte sind Solingen, der Bonner Stadtteil Tannenbusch und Wuppertal, wo im vergangenen Jahr der Konvertit Sven Lau mit seiner „Scharia-Polizei“ für Furore sorgte. Verboten wurde der zeitweilig in Mönchegladbach ansässige Verein „Einladung ins Paradies“ des Imams Muhamed Ciftci (JF 40/10), der wiederum gute Kontakte in die islamistische Szene in Braunschweig unterhält. Eines der ältesten Netzwerke ist „Die Wahre Religion“ des in Köln lebenden Islamisten Ibrahim Abou-Nagie. Er ist der Drahtzieher der 2011/2012 entstandenen Koranverteil-Kampagne „Lies!“.

Bereits mehrfach geriet das bevölkerungsreichste Bundesland im Zusammenhang mit islamistischem Terrorismus in die Schlagzeilen: 2006 deponierten Jihad H. und Youssef H. auf dem Kölner Hauptbahnhof in zwei Regionalzügen Kofferbomben; 2007 wird die sogenannte Sauerland-Gruppe festgenommen. Die vier inzwischen zu Haftstrafen verurteilten Mitglieder wollten im Namen des Islams Autobomben vor US-Militäreinrichtungen in Deutschland zünden. 2012 wurden bei Ausschreitungen von Salafisten während Pro-NRW-Kundgebungen in Solingen und Bonn über 20 Polizisten zum Teil schwer verletzt. Im Dezember 2012 stellte der islamistische Konvertit Marco G. im Hauptbahnhof Bonn eine Kofferbombe ab, die von der Polizei gesprengt werden konnte. Der Prozeß gegen G. dauert an, ein Urteil wird im Januar 2016 erwartet. Im März 2013 vereitelte die Polizei nur knapp ein salafistisch motiviertes Attentat auf Pro-NRW-Chef Markus Beisicht.





Baden-Württemberg

Im März verurteilte das Oberlandesgericht Stuttgart den Islamisten Ismail I. zu einer Haftstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und seine Mitangeklagten Ezzeddine I. und Mohammad Sobhan A. zu Haftstrafen von drei Jahren beziehungsweise zwei Jahren und neun Monaten. Sie mußten sich wegen Mitgliedschaft und Unterstützung der IS-nahen Terrorgruppe „Dschaisch al-Muhadschirin wal-Ansar“ verantworten. Ismail I. soll zudem in deren Reihen in Syrien gekämpft haben. Ende 2013 hatte die Polizei die Gruppe auf der Autobahn gestoppt und festgenommen, weil sie militärische Ausrüstungsgegenstände wie Feldstecher und Nachtsichtgeräte über die Türkei nach Syrien bringen wollten.





Ermittlungen 

In 68 Verfahren ermittelte die Bundesanwaltschaft (Stand März) wegen islamistischen Terrorismus’. Nach Medienberichten soll sich die Zahl mittlerweile auf 140 Verfahren in Deutschland gegen mutmaßliche Anhänger und Helfer islamistischer Terrorgruppen erhöht haben. Mit der im ersten Sicherheitspaket zur Bekämpfung terroristischer Vereinigungen (November 2001) vorgenommenen Streichung des sogenannten Religionsprivilegs im Vereinsgesetz ist es mittlerweile leichter möglich, entsprechende Gruppierungen zu verbieten und potentiellen Terrorzellen die Infrastruktur zu entziehen. Die schärfste Neuerung wurde 2009 ins Strafrecht eingeführt: Demnach steht die Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten, die Kontaktaufnahme zwecks Unterweisung zur Begehung von Gewalttaten sowie die Verbreitung oder Beschaffung entsprechender Anleitung zu einer solchen Tat unter Strafe. Seit einem Grundsatzurteil des BGH sind den Fahndern allerdings die Hände gebunden, solange sie keine konkreten Verdachtspunkte – etwa dafür, daß ein nach Syrien Ausreisender für den IS kämpfen will – belegen können.




Salafismus

Der Salafismus (von „as-salaf as-salih“, die frommen Altvorderen) vertritt die Auffassung, daß der Geist der ersten islamischen Gemeinde auch als Vorbild für eine moderne islamische Gemeinschaft dienen sollte. Erklärtes Ziel der Salafisten ist die Missionsarbeit („Da’wa“), die Einheit aller Moslems und die unbedingte Berufung auf den Koran sowie die prophetische Tradition (Sunna).

In Deutschland werben die Salafisten häufig Moslems (gerade auch Konvertiten), die sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen. Ihnen möchten sie – auch durch Provokationen – die „Ehre“ wiedergeben. Treffpunkte sind Moscheevereine oder Organisationen wie der (offiziell aufgelöste) Verein „Einladung zum Paradies“. Für öffentliches Aufsehen sorgten die Salafisten vor allem mit der Aktion „Lies!“, bei der sie in zahlreichen deutschen Städten kostenlose Exemplare des Koran verteilten. 

Der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) stellte bezüglich ihres Gefahrenpotentials einmal fest: „Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist; aber fast alle bislang in Erscheinung getretenen islamistischen Terroristen waren irgendwann einmal in salafistischen Kreisen unterwegs.“





Islamistisches Gefahrenpotential

44.000 Islamisten davon:

7.000 Salafisten

1.000 gewaltbereite Islamisten  (laut Verfassungsschutz)

430 „Gefährder“  (laut Bundeskriminalamt)         

320 „relevante Personen“(Leute mit Kontakten zu Gefährdern, die jedoch selbst nicht zu diesen gezählt werden)

700 In das IS-Gebiet (Syrien/Irak) ausgereiste Personen *(laut Einschätzung von BKA-Chef Holger Münch könnten es im Frühjahr 2016 etwa 1.000 IS-Ausreisende sein)

davon Frauen 100 (mindestens) 

davon bei Kampfhandlung getötet über 100 

(davon etwa 20 als Selbstmordattentäter) 

Anteil Konvertiten unter den IS-Ausreisenden 10 bis 14%