© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

„Wir müssen ein bißchen auf Sicht fahren“
Asylkrise: Die Langfristkosten der planlosen Zuwanderung addieren sich auf mindestens 900 Milliarden Euro
Jörg Fischer

In der Asylkrise zeigt sich erneut das in der Eurokrise bewährte Muster: Regierung und Bundestagsparteien – unterstützt von Leitmedien, DGB-Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und der „Zivilgesellschaft“ – erklären die Flüchtlingsaufnahme wie die Währungsunion für alternativlos. Kritiker werden als Fremden-/Eurofeinde gebrandmarkt.

Und um die steuerzahlende Mitte zu beruhigen, werden die Kosten und Risiken kleingerechnet oder schlicht ignoriert: Er wisse zwar nicht „wie viele Zugänge an Migranten wir im kommenden Jahr haben werden“, gestand Finanzminister Wolfgang Schäuble vorige Woche im Bundestag ein. Aber „wir können im kommenden Jahr diese Aufgabe ohne neue Schulden erfüllen“, so das CDU-Präsidiumsmitglied.

„Wenn es ernst wird, muß man lügen“

Acht Milliarden Euro zusätzlich wolle die Bundesregierung im Haushalt 2016 „für die Bewältigung dieser großen Herausforderung einsetzen“. Die endgültige Summe hänge aber „von der Antragsdauer und vom Umfang des weiteren Zugangs ab, den keiner kennt“, schränkte Schäuble ein: „Deswegen müssen wir ein bißchen auf Sicht fahren. Daran ist nichts Schlechtes.“

Offenbar gilt das auch für das im April 2011 bei einer Preisverleihung vom damaligen Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker verratene Politiker-Motto: „Wenn es ernst wird, muß man lügen.“ Denn wenn die wahren Langfristkosten der planlosen Zuwanderung vor den März-Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt allgemein bekannt würden, müßten die CDU-Politiker eingestehen: „Wir schaffen das nicht – zumindest nicht mit einem ausgeglichenen Haushalt oder ohne Abgaben- und Steuererhöhungen.“

Das Ifo-Institut rechnet derzeit mit Asylkosten im Umfang von 21,1 Milliarden Euro allein für 2015 – unter der vorsichtigen Annahme, daß bis zum Jahresende lediglich 1,1 Millionen Personen nach Deutschland kommen (JF 48/15). Eine „vertrauliche“ Behördenprognose, wie von der Bild-Zeitung berichtet, geht sogar von bis zu 1,5 Millionen in diesem Jahr aus. Das Freiburger Forschungszentrum Generationenverträge (FZG) und die Stiftung Marktwirtschaft legten bei ihren Berechnungen der Kosten der „planlosen Zuwanderung“ ein „sehr optimistisches Szenario“ zugrunde: In diesem Jahr kommen nur 800.000 Flüchtlinge. 2016 kämen 600.000, 2017 nur noch 400.000 und 2018 lediglich 200.000 Flüchtlinge.

„Selbst im günstigsten Fall einer schnellen Integration in den Arbeitsmarkt, werden sich dauerhaft jährliche fiskalische Lasten für die deutschen Steuerzahler in Höhe von 17 Milliarden Euro ergeben“, prognostizierte der FZG-Chef Bernd Raffelhüschen vorige Woche bei der Präsentation des alljährlichen „EU-Nachhaltigkeitsrankings“ seines Instituts. Das entspräche etwa 0,5 Prozent des gegenwärtigen Bruttoinlandsproduktes (BIP).

„Zur Finanzierung müßten die Ausgaben dauerhaft um ein Prozent gesenkt oder aber Steuern und Abgaben um 1,5 Prozent erhöht werden.“ Alternativ sei auch eine Anhebung der Einkommensteuer um durchschnittlich sechs Prozent, bei höheren Einkommen um etwa zehn Prozent möglich, um bis 2018 insgesamt zwei Millionen Asylsuchende zu versorgen. Das klingt angesichts der Milliarden, für die der Steuerzahler in der Euro- und Finanzkrise in Haftung genommen wurde, überschaubar – doch der Freiburger Finanzprofessor und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Stefan Moog haben zusätzlich Hochrechnungen zu den Langzeitkosten des Flüchtlingszustroms angestellt und mit den Berechnungen zur Generationenbilanz für Deutschland abgeglichen.

Schon 4,3 Billionen Euro „implizite“ Verbindlichkeiten

Da 95 Prozent der Asylsuchenden nicht wieder in ihre Heimat zurückkehren wollten und 70 Prozent der Flüchtlinge nicht für den hiesigen Arbeitsmarkt qualifiziert seien, würde es sich um eine „Massenzuwanderung“ handeln, die seiner Meinung nach vor allem eine „in die deutschen Sozialsysteme“ sein wird, so Raffelhüschen. „Selbst bei einer Integration der Zuwanderer in den deutschen Arbeitsmarkt innerhalb von sechs Jahren belaufen sich die Zusatzkosten langfristig auf 900 Milliarden Euro. Sollte die Qualifizierung und Integration hingegen mehr Zeit benötigen, fallen die Kosten noch deutlich höher aus.“

Angela Merkel betonte in ihrer Haushaltsrede erneut, „simple Abschottung“ werde „unser Problem“ nicht lösen – Raffelhüschen sieht hingegen Grenzkontrollen als einzige Sofortmaßnahme. Er forderte, sogenannte Geduldete konsequent abzuschieben und bei der Flüchtlingsversorgung flächendeckend auf Sachleistungen umzustellen. Doch als Aufsichtsrat der Ergo-Versicherungsgruppe und Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft hat Raffelhüschen nicht nur den steuer- und abgabengeplagten Bürger, sondern auch Konzerninteressen im Blick – nach dem bekannten Motto: „Eine durch Integrations- und Qualifikationskriterien gesteuerte Zuwanderung könnte sich hingegen positiv auf die öffentlichen Haushalte auswirken.“

Anders als die „Glatzen im Osten“ und die „Naivlinge im Westen“ glaubten, verspreche eine gesteuerte Zuwanderung eine fiskalische Dividende: „Aber wir brauchen Leute, die wir brauchen“, so Raffelhüschen. Ein Einwanderungsgesetz ermögliche, sich Fachkräfte nach Bedarf herauszusuchen. Bei dessen Ausgestaltung müsse man aber „den Mut haben, zu diskriminieren“. Warum die erhofften qualifizierten Zuwanderer, die sich schnell auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft integrieren lassen, künftig nicht mehr nach Nordamerika gehen, sondern freiwillig dazu beitragen sollten, „die fiskalischen Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu lösen“, verrät Raffelhüschen nicht.

Ein Blick auf das „EU-Nachhaltigkeitsranking“ des FZG dürfte Qualifizierte ehr abschrecken: Die deutsche Staatsverschuldung liegt mit 71 Prozent des BIP weit über der bei der Euro-Einführung vereinbarten 60-Prozent-Grenze. Würden zusätzlich auch „absehbare zukünftige Defizite der öffentlichen Haushalte (implizite Schulden) bzw. nach geltender Gesetzeslage zwingende Ausgaben mitberücksichtigt, denen keine Reserven gegenüberstehen (etwa Beamtenpensionen)“, dann liegen die staatlichen Gesamtschulden Deutschlands bei 149 Prozent vom BIP.

Das sind etwa 4,3 Billionen Euro – die 0,9 Billionen „impliziten“ Verbindlichkeiten durch die Asylzuwanderung nicht mitgerechnet. „Daß wir die Flüchtlingsaufgabe stemmen können, hängt auch damit zusammen, daß wir in den letzten Jahren gut gewirtschaftet haben“, behauptete hingegen die Kanzlerin in ihrer jüngsten Bundestagsrede.

Studie der Stiftung Marktwirtschaft zu den „Kosten der planlosen Zuwanderung“: www.stiftung-marktwirtschaft.de