© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Nur zweite Wahl
Eurovision Song Contest: Nach der Posse um Xavier Naidoo trägt jeder andere Kandidat ein Kainsmal
Georg Ginster

Die Funktionäre des Norddeutschen Rundfunks, die Xavier Naidoo im Alleingang für den Eurovision Song Contest (ESC) nominierten, haben gleich zwei unverzeihliche Fehler begangen. Zum einen waren sie zu faul, Recherche zu betreiben. Bei einer solchen hätte ihnen nämlich auffallen müssen, daß gegen den Musiker eine Kampagne läuft, an der nicht nur antifaschistische Think Tanks, sondern auch seriöse Leitmedien mitwirken. Zum anderen hätten sie beherzigen müssen, daß es der Kernauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist, Maßstäbe dafür zu setzen, welche Meinungen legitim sind und welche nicht.

Die Meinungen Xavier Naidoos überschreiten die Grenzen dessen, was toleriert werden kann. Die Liste seiner Verfehlungen ist lang. Er gab 2006 den Soundtrack zum Sommermärchen der deutschen Fußballnationalmannschaft, das alle Hemmschwellen beim öffentlichen Zeigen der Nationalflagge beseitigte. Sein Bekenntnis zum Christentum gilt als fundamentalistisch, weil er nicht nur dessen Lebensregeln passabel findet, sondern an den Gott der Bibel glaubt. Als libertärer „Systemkritiker“ verunglimpft er die Bundesrepublik, kein freies, sondern ein besetztes Land zu sein. Seine kruden Thesen camoufliert er mit Sanftmut, Nächstenliebe und Charme.

Der Fauxpas des NDR ist nur mit Panik zu erklären. Im Mai dieses Jahres floppte die deutsche Kandidatin Ann Sophie beim ESC-Finale 2015 in Wien und landete mit null Punkten auf dem letzten Platz. Ann Sophie war vom Fernsehvolk erkoren, nun sollte – dem Stil der Merkel-Republik gemäß – eine autoritäre Entscheidung zum Erfolg führen. Ann Sophie war aber nur zweite Wahl gewesen, der eigentliche Sieger des nationalen Vorentscheids hatte verzichtet. Wer auch immer nun 2016 anstelle von Xavier Naidoo zum ESC-Finale nach Stockholm fahren wird, trägt das gleiche Kainsmal. Er ist nur zweite Wahl.