© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

CD-Kritik: Yonkyu Lee
Romantikblüten
Cornelius Persdorf

Das Programm verrät eine ehrgeizige Mission: jede Facette der romantischen Epoche zu beleuchten. Franz Schubert, Felix Mendelssohn Bartholdy, Anatoli Ljadow, Alexander Skrjabin: Jeder Komponist steht für einen eigenen Teil dieser Epoche (1800–1915) mit ihren Dynamiken, Harmonien und Sehnsüchten. Die Impromptus Schuberts sind alles andere als formlos, sondern erinnern an die klassische Sonate. Der koreanische Interpret Yongkyu Lee setzt mit starken, aber wohlplazierten Temposchwankungen und kräftigen Dynamik-Unterschieden die entscheidende romantische Note. Einen Vorgeschmack seiner virtuosen Klasse zeigt er beim berühmtesten dieser Impromptus (As-Dur): Die gebrochenen absteigenden Akkorde im Leitthema sind sauberste Glasperlen, die sich dank fein definierter Terrassen-Dynamik farblich in Nuancen unterscheiden. 

Lees Kerntugenden kommen bei Bartholdys „Liedern ohne Worte“ noch deutlicher zum Vorschein: untrüglicher Instinkt für das richtige Tempo, systematischer Einsatz unverkennbarer romantischer Stilmittel bei selbstverständlicher technischer Souveränität. Die Russen Ljadow und Skrjabin setzen höhere virtuose Anforderungen, im wesentlichen halsbrecherische Griffe bei hohem Tempo, aber auch hier nimmt sich der Pianist Zeit, dynamische und harmonische Höhepunkte auszukosten. 

Yonkyu Lee Impromptus, Fantasie, Lieder ohne Worte Thorofon, 2015  www.yonkuylee.com