© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Preußens Glanzepoche lebendig gestaltet
Friedrich über alles: Zum 200. Geburtstag des bedeutenden Preußen-Malers Adolph Menzel
Reinhold Böhnert

Die Nachwelt würdigt in Menzel bis heute einen der großen Realisten der deutschen Kunstgeschichte, besonders den unvergleichlichen, unermüdlichen Zeichner, dem kein Tag verging, ohne zum Stift gegriffen zu haben – immer auf der Suche nach bisher ungesehener, unentdeckter Wirklichkeit. Nimmt man noch die Illustrationen und die Vorstudien für Gemälde hinzu, sind es an die 11.000 Blätter, die der Künstler hinterlassen hat.

Aus dem 150 Werke umfassenden malerischen Œuvre stehen die luft- und lichterfüllten „vorimpressionistischen“ Frühwerke der 1840er/1850er Jahre, die sich um das „Balkonzimmer“ (1845) und das „Théâtre du Gymnase“ (1856) gruppieren, in hoher Gunst. Als Menzels Hauptwerk aber gilt unverrückbar das „Eisenwalzwerk“, das die Nationalgalerie im Vollendungsjahr 1875 kaufte. Das in den 1880er Jahren gemalte letzte Großformat Menzels, die „Piazza d’Erbe in Verona“, halten die heutigen Menzel-Kenner in seiner chaotischen Großartigkeit dagegen für problematisch, wenn nicht gescheitert.

Auf ein ihm fremdes Terrain begeben

Schon die Zeitgenossen scheinen das Marktgewimmel, das Menzel bei seinen drei Besuchen in Verona vorfand, nicht sonderlich geschätzt zu haben; die Hamburger Kunsthalle und die Nationalgalerie waren nicht interessiert; 1905 gelangte es in die Galerie Neue Meister nach Dresden. Menzel hatte sich da auf seine alten Tage auf ein ihm fremdes Gebiet begeben, anstatt bei dem Thema zu bleiben, das ihn bekannt und berühmt gemacht hatte. Die Zeitgenossen sahen in ihrem Menzel vor allem den führenden Künstler Preußens, der nicht nur im Berlin und Potsdam der Gegenwart als zeichnender und malender Zeitzeuge unterwegs war, sondern sich auch als Historiker betätigte, indem er Preußens Glanzepoche, die Zeit Friedrichs des Großen, wieder lebendig machte. 

Diese Seite von Menzels Schaffen ist im 20. Jahrhundert, als der Künstler in die Nähe der Moderne und sogar des sozialistischen Realismus gerückt wurde, meist nur am Rande behandelt worden. Da sie jedoch untrennbar zu Menzel und zur neueren deutschen Kunst- und Geistesgeschichte gehört, soll hier anläßlich seines 200. Geburtstages an den Chronisten und Propagandisten Friedrichs II. von Preußen erinnert werden.

Angefangen hat es mit seiner Begeisterung für den großen König schon im heimatlichen Breslau, wo Menzel am 8. Dezember 1815 geboren worden war. Sein Vater betrieb dort eine Steindruckerei. 1829 durfte er das erstemal sein Talent unter Beweis stellen und zur Illustration eines Geschichtswerkes über Preußen beitragen. Zwei der insgesamt acht Blätter, die der Vierzehnjährige zeichnete, stellen Friedrich II. dar. 1830 zog die Familie – Menzel hatte zwei jüngere Geschwister – nach Berlin, nur zwei Jahre später starb der Vater. Der sechzehnjährige Menzel mußte mit Illustrationen Geld verdienen. 1834 erschienen elf Federlithographien zu einem Gedicht von Goethe („Künstlers Erdenwallen“), die viel Anerkennung fanden, 1834 zwölf Blätter zur preußischen Geschichte („Denkwürdigkeiten aus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte“), und 1840 kam dann der Durchbruch: Menzel durfte mit 400 Zeichnungen zu Holzstichen Franz Kuglers „Geschichte Friedrichs des Großen“ bebildern. Bis zum Ende der 1850er Jahre folgten noch mehrere hundert Illustrationen zu Büchern und Tafelwerken zu den literarischen Werken Friedrichs des Großen und zu seiner Armee.

Im gleichen Zeitraum entstanden elf große Ölbilder zu Ereignissen aus dem Leben des Königs. Sie wurden das Kernstück von Menzels Frideriziana, und Menzel, der eigentlich ein Autodidakt war, erbrachte den Nachweis, daß er sich vom Illustrator zu einem veritablen Historienmaler entwickelt hatte, der den Vergleich mit den akademisch ausgebildeten Kollegen nicht zu scheuen brauchte. Ja, er wagte es, die traditionelle Historienmalerei herauszufordern, indem er die von ihm ausgewählten historischen Begebenheiten gleichsam in die Gegenwart transponierte. Und in der Tat, vor Menzels Friedrich-Bildern hat man nie das Gefühl, sich in einer zeitlichen Distanz zu befinden. Das historische Geschehen scheint sich ganz in der Nähe unter demselben Himmel abzuspielen. Menzel schildert es ganz unbefangen – ohne geschichtsphilosophische Hintergedanken.

Seine Bilder malte er meist ohne Auftrag

Auch in wirtschaftlicher Hinsicht mutete sich Menzel einiges zu. Bis auf zwei Ausnahmen malte er seine Bilder ohne Auftrag. Als Käufer kamen freilich ohnehin nur der König und der Staat in Betracht. Am Ende ging die Rechnung auf, worüber Menzel froh sein durfte, denn seine Friedrich II. verherrlichenden Bilder konnte man auch als eine Kritik an den preußischen Verhältnissen der 1850er Jahre lesen, als sich nach der Niederschlagung der bürgerlichen Revolution von 1848/49 der historisch überlebte preußische Absolutismus, wenn auch in milderer Form, wieder festigte. Der aufgeklärte „Volkskönig“ Friedrich II. konnte daher als eine fiktive Alternative zu Friedrich Wilhelm IV., der die Barrikadenkämpfe 1848 in Berlin zu verantworten hatte, verstanden werden. Menzel, der von sich einmal sagte, daß er durchaus „plebejisch“ fühle und denke, erlebte am Morgen des 22. März die Aufbahrung der Toten auf dem Gendarmenmarkt. Das Bild, das er von diesem Vorgang bald darauf begann, ist unvollendet geblieben – als Sinnbild des Scheiterns und der Resignation des liberalen Bürgertums, zu dem auch Menzel gehörte. 

Einige der Menzelschen Friedrich-Bilder sind sehr populär geworden, so die „Tafelrunde“ (1849/50), das „Flötenkonzert“ (1849–52), die „Ansprache Friedrichs II. an seine Generäle vor der Schlacht bei Leuthen“ (1858–61) und nicht zuletzt das Hochkirch-Gemälde (1850–56), das, nachdem es in der Jahresausstellung der Kunstakademie zu sehen gewesen war, bald von Friedrich Wilhelm IV. gekauft wurde, wohl um es aus dem Verkehr zu ziehen, denn er verbannte es in einen Abstellraum des Berliner Schlosses. Wilhelm II. hängte es später in sein dortiges Arbeitszimmer. 1945 ist das Bild wahrscheinlich für immer verlorengegangen. Dieses „Riesenbild einer Niederlage“, wie es Menzel nannte, ist das bedeutendste der Folge und erinnert an die Schlacht bei Hochkirch. Am frühen Morgen des 14. Oktober 1758 griffen 78.000 Österreicher 30.000 Preußen in ihrem ungünstig gelegenen, noch dazu unzureichend gesicherten Nachtlager an, fügten ihnen hohe Verluste zu und nahmen ihnen einhundert Kanonen weg.

Friedrich der Große erscheint als Gedemütigter

Vom Feind ist auf dem Gemälde nichts zu sehen. Menzel zeigt uns die überrumpelten Preußen, die sich zu ordnen versuchen. Jeder hat mit sich zu tun. Und der König, der Schuld an diesem Desaster hat? Er wird zur gespenstischen Nebenfigur, die niemand auf ihrem Schimmel beachtet. Gemalt hat Menzel zuerst den großen Baum, der so etwas wie Widerstand symbolisiert und den brennenden und verqualmten Hintergrund, zum Schluß die beiden Offiziere – der eine ohne Hut –, die noch nicht da sind, wo sie hingehören, nämlich in die sich formierende vordere Linie.

Wie die anderen Friedrich-Gemälde hat auch dieses etwas Momentanes. Man könnte es als historisches Genrestück bezeichnen. Der Betrachter fühlt sich in das Geschehen einbezogen und gleichsam mit überfallen. Er erlebt den großen König nicht als ruhmreichen Feldherrn, sondern als einen Geschlagenen und Gedemütigten. Diese Schmach hätte Menzel bei seinem letzten Bild der Folge, das der diesmal siegreichen Schlacht bei Leuthen von 1757 gewidmet ist, tilgen können. Er zeigt aber nicht das Kampfgeschehen, sondern versucht, dem Thema mit der Darstellung der legendären Rede des Königs an seine Kommandeure beizukommen.

„Leuthen“ blieb unvollendet. Wo Friedrich hätte stehen sollen, ließ Menzel eine Leerstelle. Warum ihm die Lust vergangen war, ist schwer zu sagen. Der Stoff hatte sich nach 20 Jahren vermutlich erschöpft. Da kam der Auftrag, die Krönung Wilhelms I. am 18. Oktober 1861 in Königsberg in einem repräsentativen Gemälde (3,45 x 4,45 Meter) festzuhalten, gerade recht; er bedeutete nicht zuletzt auch eine materielle Absicherung für mehrere Jahre.

Menzel stand 1861, als er „Leuthen“ zur Wand drehte und im Oktober zur Krönung nach Königsberg reiste, genau in der Mitte seines Lebens. Seine liberalen Träumereien vom Vormärz und der große König lagen hinter ihm. Was er von da an über Preußen zu sagen hatte, bezog sich auf eine Gegenwart, die an Dynamik bald deutlich zunehmen sollte. Noch unter dem Eindruck der Reichsgründung reiste Menzel 1872 das erstemal ins oberschlesische Königshütte, um in einem Schienenwalzwerk Studien für ein Gemälde, das spätere „Eisenwalzwerk“, zur Industrialisierung in Preußen zu machen. Vom großen König, der vor mehr als hundert Jahren Schlesien erobert hatte, und seiner Zeit waren inzwischen die Spuren verweht.

Wilhelm II. hat Menzel bis zu dessen Tod am 9. Februar 1905 bei jeder Gelegenheit als den „Ruhmeskünder“ Friedrichs gepriesen und dem Künstler nicht zuletzt für dessen Frideriziana 1898 die höchste preußische Auszeichnung, den Schwarzen Adler-Orden, verliehen. Adolph von Menzel – er wurde 1898 geadelt – fühlte sich natürlich geehrt, aber etwas mehr als Friedrich war es dann doch gewesen.