© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Stets gerühmt, doch nie gespielt
Musik: Die stille Tragik des Hermann Goetz
Wiebke Dethlefs

Er wurde nur 36 Jahre alt. Der frühe Tod verbannte den Königsberger Komponisten Hermann Goetz in das Kleingedruckte der neueren Konzertführer, sofern sie ihn überhaupt erwähnen. Dabei brachte er es in nur vierzehn Schaffensjahren zu einer solchen Meisterschaft, daß Brahms oder Hans von Bülow ihn über die Maßen schätzten. Am 7. Dezember 1840 geboren, komponierte er Orchesterwerke, Klavier- und Kammermusik. Sein Opus maximum ist die 1874 uraufgeführte Oper „Der Widerspenstigen Zähmung“. Kurz vor der Vollendung der zweiten Oper „Francesca da Rimini“ nahm ihm der Tod am 3. Dezember 1876 die Feder aus der Hand.

Nur zwei Einspielungen seiner komischen Oper

Die Gründe für Goetz’ Nichtbeachtung sind kaum nachvollziehbar. Vielleicht liegt es an seiner emotionalen Zurückhaltung, der fehlenden instrumentatorischen Raffinesse. Dennoch gilt: Goetz ist in seiner lyrischen Tonsprache eine feingeistige Erscheinung, unweit von Schumann und Brahms positioniert. Nicht von ungefähr nahm Hans Joachim Moser in seiner „Musikgeschichte in hundert Lebensbildern“ Goetz noch 1952 unter eben diese hundert bedeutendsten Persönlichkeiten der europäischen Musikgeschichte auf.

Aus Goetz’ Werkreihe seien erwähnt: das Klavierkonzert in B-Dur in seiner schlicht-ehrlichen Haltung, eine schumannisch empfundene F-Dur-Symphonie als sein ausgereiftestes Orchesterwerk, ein intensiv-ausdrucksstarkes E-Dur-Klavierquartett und ein c-moll-Klavierquintett (mit Kontrabaß, darin Schuberts Forellenquintett ähnlich) mit seinem schmerzlich-resignativen Einleitungssatz, in dem sich das Bewußtsein des Komponisten um dessen frühes Ende zu manifestieren scheint.

Sein Hauptwerk, die Oper  „Der Widerspenstigen Zähmung“, komponiert nach Shakespeares gleichnamiger Komödie, ist die entzückendste deutsche Spieloper der Nach-Lortzing-Ära – neben Peter Cornelius’ „Barbier von Bagdad“. Für die Musikwelt ist es beschämend, daß die bis heute letzte noch erhältliche Einspielung dieser komischen Oper auf Tonträger (die zweite überhaupt) unter Joseph Keilberth mit Annelies Kupper, Elisabeth Lindermeier und Gottlob Frick aus dem Jahr 1955 stammt. 

Vielleicht erklingt die Musik dieses stillen Meisters anläßlich seines 175. Geburtstags wenigstens in den Wohnzimmern einiger Musikliebhaber. Eine breitere Würdigung im öffentlichen Musikleben wird in Deutschland mit aller Sicherheit  nicht erfolgen.