© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Das Testosteron macht’s
Unsere Gehirne sind anders: Die Gender-Ideologie ist seit Jahrzehnten durch die Biologie widerlegt
Heiko Urbanzyk

Erziehen wir noch unterschiedlich? Oder gibt es Puppen- und Bagger-Gene?“ Der September-Titel einer Institution unter den Erziehungsmagazinen, Eltern Family, suggeriert, daß Eltern irgendwie selbst die Schuld daran tragen könnten, daß ihre Söhne sich wie typische Jungs und ihre Töchter wie typische Mädchen verhalten. Die Soziologin und Geschlechterforscherin Paula-Irene Villa (LMU München) wirbt in der Ausgabe dafür, Männliches und Weibliches nicht zu bewerten. Eltern sollten in der Erziehung die Jungen „ruhig etwas ermutigen“, weiblicher zu sein. Ob es angeborenes männliches und weibliches Verhalten gebe? „Jungen und Mädchen kommen mit einer gewissen ‘Hardware’ zur Welt“, gesteht sie ein. Nicht jedoch ohne den Zusatz, der Hirnforscher Gerald Hüther (Uniklinik Göttingen) habe darauf hingewiesen, individuelle Erfahrungen könnten Hirnstrukturen verändern.

Testosteronspiegel bleibt ein Leben lang bestimmend

Die Forschung über die biologischen Unterschiede von Mann und Frau blüht seit einem Vierteljahrhundert. „Mehr als 5.600 neurowissenschaftliche Studien zu diesem Thema wurden seit Anfang der 1990er Jahre veröffentlicht, wie eine Arbeitsgruppe der University of Cambridge errechnete“, schreibt der Wissenschaftsjournalist Theodor Schaarschmidt (Gehirn & Geist, 12/2015). Aktuell scheint das Wesentlichste zum Stand der Forschung gesagt – die großen Neuerkenntnisse bestimmten die Medienlandschaft vor 15 Jahren sowie zuletzt um die Jahre 2012 und 2013.

Die „Hardware“, welche die Soziologin Villa so beiläufig nennt, ist ganz entscheidend für das biologische Geschlecht und eindeutig vom Zeitpunkt der Befruchtung an festgelegt. Die weibliche Eizelle enthält immer das Geschlechtschromosom X, das männliche Spermium die Chromosomen X oder Y. Wenn Eizelle und Spermium verschmelzen, trägt das neue Leben entweder die Chromosomenverbindung XY (Junge) oder XX (Mädchen). Was dann geschieht, wußte bereits vor mehr als 15 Jahren Steve Biddulph in seinem Erziehungsklassiker „Jungen!“ zu berichten: „Nach der achten Schwangerschaftswoche [werden] die Y-Chromosomen aktiv, und die Produktion von Testosteron beginnt.“ Hierdurch nehme der Fötus allmählich die körperliche Gestalt eines Jungen an. Dieser kennzeichnet sich nicht allein durch Penis und Hoden. Auch das Gehirn mache spezifische Veränderungen durch, die mit dem Y-Chromosom in Verbindung stünden. Sei der Hoden erst ausgebildet, würde die Testosteronproduktion verstärkt.

Der Testosteronspiegel wird für den kleinen Jungen und dessen Entwicklung ein Leben lang bestimmend sein. Der typische Junge will sich bewegen, streiten, kämpfen – und siegen. „Die männlichen Mitglieder siegreicher Sportmannschaften haben (nach dem Spiel) einen höheren Testosteronspiegel als die Verlierer“, schreibt der australische Familienpsychologe in dem Buch. Der typische Junge, der der Genderforschung als reines Sozialisationsprodukt gilt, hat also tatsächlich eine naturwissenschaftlich belegte Ursache.

Die Gehirnforschung widerlegt seit langem die Hypothese der Genderforschung, das Geschlecht sei nicht biologisch bedingt, sondern anerzogen. Diesbezügliche Untersuchungsergebnisse sind mittlerweile Lexikonwissen geworden. Die vorgeburtlichen Auswirkungen auf das Gehirn ließen sich nicht mehr umkehren, ist im Lexikon der Neurowissenschaft zu lesen, das vom Spektrum-Verlag verantwortet wird: „Systematische Untersuchungen zu Geschlechtsunterschieden im menschlichen Gehirn aus der jüngeren Vergangenheit zeigen, daß solche Unterschiede bereits bei Neugeborenen vorhanden, also vermutlich genetisch bedingt sind. Diese Differenzen sind zwar gering, aber signifikant, und bleiben beim Erwachsenen bestehen.“

„Unterschied wie zwischen Volvo und Corvette“

Schon rein äußerlich könnten männliche und weibliche Gehirne unterschieden werden. „Rein statistisch beträgt die durchschnittliche Hirnmasse bei der Frau 1.245 Gramm und beim Mann 1.375 Gramm.“ Da es eine Korrelation zwischen Hirnmasse und Körpermasse gebe und Frauen im Durchschnitt kleiner sind als Männer, leite sich daraus auch ein kleineres weibliches Gehirn ab. Über Intelligenz des einzelnen sage dies nichts aus. Die Forschung habe jedoch eindeutig gezeigt, daß Frauen und Männer ihre jeweils eigenen Problemlösungsstrategien haben, auf die sich das andere Geschlecht nicht gleich gut versteht. Das bessere räumliche Vorstellungsvermögen der Männer steht im Zusammenhang mit Testosteron. Es ist auch bei Frauen mit höherem Testosteronspiegel ausgeprägter als bei Frauen mit niedrigem. Frauen hingegen haben zum Beispiel eine höhere Wahrnehmungsgeschwindigkeit.

Der Neurowissenschaftler Larry Cahill (University of California, Irvine) hält die Gehirne von Männern und Frauen für grundverschieden. Starke Überlappungen und teils bescheidene Untersuchungseffekte zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen seien darauf zurückzuführen, daß stets isolierte Hirnfunktionen betrachtet würden. „Das ist, als würde man nach detaillierter Prüfung von Reifen und Bremsen zu dem Schluß kommen, daß es keine bedeutsamen Unterschiede zwischen einem Volvo und einer Corvette gibt“, erklärt Cahill in derselben Ausgabe von Gehirn & Geist.

Diese Grundlagen hat die Naturwissenschaft bis heute nicht revidiert. Es sind vor allem Soziologen, die bemängeln, daß hierbei häufig geringe statistische Effekte überbetont und methodische Fehler vernachlässigt würden. „Das zementiere Rollenklischees“, zitiert Schaarschmidt die Kritiker aus den Gesellschaftswissenschaften.

Der durch die Gender-Studies-Professorin Paula-Irene Villa bemühte Neurobiologe Hüther sieht den Menschen in der Tat nicht durch sein Gehirn in ein Korsett gezwungen. Das menschliche Hirn werde nicht von genetischen Programmen zusammengebaut, sondern strukturiere sich anhand der Lösungen, die eine Person beim Heranwachsen für die ihr begegnenden oder aufgebürdeten Probleme finde, wie er in einem Gespräch mit Abenteuer Philosophie (141/15) bekundete. Eine solche Betonung der Formbarkeit des Gehirns, wie sie durch Genderforscher erfolgt, hält Cahill für bedenklich. Auch Verhaltensweisen, die sich erst nach Jahren herausbildeten, könnten letztlich einen biologischen Ursprung haben, wie beispielsweise Rechtshändigkeit. Umweltbedingte Veränderungen hätten zudem biologische Schranken.

Die Genderforschung muß sich vor dem Hintergrund seit Jahrzehnten gesicherter biologischer Erkenntnisse die berechtigte Frage gefallen lassen, worin der Sinn liegen soll, dieser Natur, die das Rollenbild maßgeblich mitprägt, künstlich ins Handwerk zu pfuschen.