© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/15 / 11. Dezember 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Aktenzeichen XY ungelöst
Marcus Schmidt

Selten ist eine politische Affäre so verpufft wie der Fall Sebastian Edathy. Dabei hatten die Vorkommnisse um die Aufdeckung der Kinderporno-Affäre des früheren SPD-Bundestagsabgeordneten das Zeug, die Große Koalition zu sprengen und eine Staatskrise auszulösen. Denn es gab einen ungeheuerlichen Verdacht: Wurde Edathy vor den Ermittlungen gegen ihn gewarnt?

Um diese Frage zu klären, setzte der Bundestag im Sommer 2014 auf Antrag von Linkspartei und Grünen einen Untersuchungsausschuß ein. Die Opposition verfolgte mit diesem Ausschuß ganz nebenbei das Ziel, die zu diesem Zeitpunkt durch die Edathy-Affäre herrschende Zwietracht in der Großen Koalition nach möglichkeit weiter zu schüren.

Zur Erinnerung: Am 7. Februar 2014 legt Sebastian Edathy nach 15 Jahren völlig überraschend sein Bundestagsmandat nieder – aus gesundheitlichen Gründen, wie es hieß. Drei Tage später läßt die Staatsanwaltschaft Hannover Büros und Privaträume des SPD-Politikers wegen des Verdachts auf Besitz von Kinderpornographie durchsuchen. Wiederum drei Tage danach offenbart SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann der Öffentlichkeit, Parteichef Sigmar Gabriel sei bereits seit Oktober 2013 von den Ermittlungen gegen Edathy informiert gewesen. Der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) habe ihn am Rande der Koalitionsverhandlungen informiert. Friedrich, mittlerweile Landwirtschaftsminister, mußte nach dieser Indiskretion Oppermanns wegen des Vorwurfs, er habe Dienstgeheimnisse verraten, seinen Hut nehmen.

Der Untersuchungsausschuß tat sich in seinen 47 Sitzungen, bei denen er 57 Zeugen befragte, schwer mit der Beantwortung der Frage, ob und wenn ja wer Edathy gewarnt hatte. Vieles deutete auf den SPD-Bundestagsabgeordneten Michael Hartmann hin. Er geriet nicht zuletzt durch die Behauptung Edathys, er sei von Hartmann informiert worden, massiv unter Druck. Der SPD-Abgeordnete stritt alles ab, verweigerte schließlich die Aussage und meldete sich krank. Auch für Oppermann wurde es zeitweilig eng. Er, der ebenso wie Edathy aus Niedersachsen stammt, wurde insbesondere von der Union verdächtigt, er habe bereits vor Gabriel von dem Verfahren gegen Edathy gewußt und dafür gesorgt, daß dieser – mutmaßlich über Hartmann – informiert wird.

Am Ende bleiben Zweifel. Im 950 Seiten starken Abschlußbericht des Ausschusses, der am vergangenen Freitag im Bundestag debattiert wurde, heißt es dazu: „Nicht endgültig aufklären konnte der Ausschuß, ob, zu welchem Zeitpunkt und durch wen Herr Edathy erfuhr, daß gegen ihn ermittelt wurde.“ Doch nicht alle Mitglieder des Gremiums tragen diese Formulierung mit. „Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gibt es keinen plausiblen Zweifel an der Informierung des Abgeordneten Edathy durch den Abgeordneten Hartmann“, schreiben die Ausschußmitglieder Frank Tempel (Linkspartei) und Irene Mihalic (Grüne) in einem Sondervotum. Doch das scheint kaum noch jemanden zu kümmern. Denn die Öffentlichkeit hat das Interesse an der Affäre längst verloren.